Wiedervereinigung unter der Erde

Erste Fahrt auf der neuen Strecke der U2 / Auf Bahnhöfen noch letzte Bauarbeiten, Tunnel ist wie geleckt / Fahrgäste werden in den Türen eingeklemmt / Prominenz erinnert sich an den Mauerfall 1989  ■ Von Dirk Wildt

Wolfgang Nagel sitzt normalerweise auf der Rücksitzbank seines Dienstwagens. Gestern fuhr der Bausenator mit der Untergrundbahn – und das gleich im Führerhaus. Die U2, die morgen ab 13 Uhr erstmals von Pankow nach Ruhleben durchfährt, startete gestern mit dem SPD-Senator, mit Verkehrssenator Herwig Haase (CDU), BVG-Chef Konrad Lorenzen und einem Pulk von Journalisten zu einer Jungfernfahrt. Der Prominenz kamen bei der Fahrt zwischen Nollendorf- und Potsdamer Platz, die 32 Jahre unterbrochen war, Erinnerungen an den Mauerfall 1989.

„Ich wurde zusammen mit Walter Momper in einem Meer von Menschen über diesen Platz gespült“, sagte Nagel auf dem Bahnsteig am U-Bahnhof Potsdamer Platz und guckte währenddessen hoch zur Decke, über der vor vier Jahren Geschichte stattfand. Während der Fahrt habe er aber mehr an die Diskussionen mit den Bonnern gedacht, die die Wiedereröffnung der U2 als überflüssig angesehen hatten. Sie tragen die 215 Millionen Mark teure Wiedereröffnung mit knapp der Hälfte, die EG hat zwölf Milllionen Mark zugeschossen. „Wir hatten uns die Frage nach dem Sinn nie gestellt“, berichtet der SPD-Politiker, für die Bauverwaltung sei die Herstellung der historischen Verbindung immer selbstverständlich gewesen: „Eine Wiedervereinigung unter der Erde“.

Von dem damaligen Geist ist auf der rund 4,2 Kilometer langen Strecke allerdings kaum etwas zu spüren. Überstürzten sich im November 89 und den Folgemonaten die Ereignisse und führten zwangsläufig zu Übergangslösungen und Überraschungen – wie kurzfristig eingerichtete Grenzübergänge oder überstürzte Rücktritte –, wurde auf den fünf wiedereröffneten Bahnhöfen nichts dem Zufall überlassen. Die Bahnsteige präsentieren sich ganz im Zeichen einer neuen BVG, die Beschilderung scheint im Gegensatz zu Friedrichstraße und Alexanderplatz übersichtlich. Schon die Schilder mit den Stationsnamen haben einen roten Balken und den Hinweis U2. Informationen wie „Ausgang“ sind gelb unterlegt. Die Bahnhöfe Nollendorfplatz, Bülowstraße und Gleisdreieck sind lichtdurchflutet, was selbst bei dem gestrigen trüben Wetter der oberirdischen Trasse und der großen Glasflächen der Bahnhofshallen geschuldet war. Auch der 900 Meter lange Tunnel sieht wie geleckt aus. Die Wände sind frisch gestrichen, und der Schotter wurde ausgewechselt. An der Einfahrt zwischen Gleisdreieck und Potsdamer Platz haben Sprayer allerdings bereits ihre Spuren hinterlassen. Auf grauem Beton haben sie bunte tags gesetzt.

An den Bauarbeitern, die gestern am Potsdamer Platz die letzten Hinweistafeln und am Nollendorfplatz Treppengeländer montierten, war zu bemerken, daß die offizielle Eröffnung noch erst stattfindet. Dann wird auch die Fahrgastabfertigung wie am Schnürchen klappen. Gestern – und das konnte vielleicht doch an die überstürzten Ereignisse von vor vier Jahren erinnern, fuhr die U2 am Gleisdreieck ohne Ankündigung los: Journalisten wurden in den hydraulischen Türen eingeklemmt. Für den Bausenator aber war die Fahrt was ganz Besonderes: nicht nur wegen der Jungfernfahrt, sondern „weil ich sonst überhaupt nicht U-Bahn fahre“.