: Liebe Grüne in Deutschland!
Auch vom Ausland und aus Brüssel – natürlich insbesondere aus der bestehenden grünen Fraktion im Europa-Parlament – schaut man gespannt auf Eure Diskussion zur anstehenden Europawahl 1994.
Das kommende Europa-Parlament hat nach dem Maastrichter Vertrag etwas mehr zu sagen als das bisherige und wird mehr als bisher von deutschen Mitgliedern geprägt sein. Zum ersten Mal wird Deutschland auch formell nicht mehr wie Frankreich oder Italien oder Großbritannien behandelt werden, sondern aufgrund seiner „neuen Größe“ mehr Abgeordnete als alle anderen Mitgliedsstaaten entsenden. Zu den entscheidensten politischen Zukunftsfragen gehört, ob sich Deutschland weiterhin im europäischen Integrationsprozeß engagiert, oder aber sich immer stärker auf nationale Interessen konzentriert (wo die EG höchstens dann nützt, wenn man nach außen hin etwas verbrämen muß, was Deutschland sich auf eigene Faust nicht ganz offen leisten kann, ohne großes Mißtrauen zu erwecken: z.B. in seiner Ostpolitik). Die derzeit vorhersehbare Erweiterung der EG wird in hohem Maße Länder betreffen, für die Deutschland ein wichtiger oder der wichtigste Partner ist. Zukunft, Umbau oder Verfall der EG werden sich in der kommenden Wahlperiode des EP entscheiden.
Auch bei den Europa-Grünen wird der Anteil der Deutschen – aus den genannten Gründen – voraussichtlich das größte nationale Segment ausmachen: insbesondere wenn es den deutschen Grünen (Bündnis 90/Die Grünen) bei dieser ersten bundesweiten Wahl nach dem Ausscheiden der alten West-Grünen aus dem Bundestag gelingt, einen guten Erfolg und ein erneuertes, bundesweit hervorstechendes Profil zu gewinnen. Im übrigen waren Erfolge und Mißerfolge der deutschen Grünen immer Trendsetter der meisten europäischen Grünen.
Insofern blickt man natürlich aus Brüssel, aus Italien, aus Frankreich, aus Ungarn, aus Schweden... mit Spannung und Erwartung auf die Beratungen der deutschen Grünen. Und hofft, daß aus Deutschland möglichst viele und möglichst relevante Abgeordnete nach Brüssel/Straßburg entsandt werden. In der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode hatte die deutsche grüne Abordnung ein Viertel ihres Bestandes schon vor Halbzeit verloren und nur einen Beobachter aus der ehemaligen DDR eingebracht. In der kommenden Wahlperiode steckt wesentlich mehr drin, was sich sowohl auf die Konturen der Grünen im EP als auf die deutsche Komponente des kommenden Parlaments sehr positiv auswirken könnte: wenn die deutschen Grünen imstande sind, profilierte und auch außerhalb ihrer engen parteipolitischen Binnengrenzen bekannte Personen zu entsenden.
Muß ich noch eigens sagen, daß ich mir unter diesen natürlich ganz besonders einen Dani Cohn-Bendit wünschen würde, der von den italienischen Grünen bereits 1989 als (symbolhafter) Kandidat zur Europawahl nominiert worden war? Es wäre doch allzu verschwenderischer Luxus, derartige Ressourcen ungenutzt zu lassen. Alexander Langer,
Vorsitzender der ersten Grünen-
Fraktion im EP, für die erste
Amtsperiode nach der
Wahl 1989
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