: Schwarzarbeit tut gut
Eine Studie über die Gemütsverfassung von Erwerbslosen zeigt: Nur vorübergehende Arbeitslosigkeit wird verkraftet / Langzeitarbeitslose müssen sich von Mainstream-Werten verabschieden ■ Von Barbara Dribbusch
Der 44jährige Angestellte hat derzeit einen „erfüllten Tag“, wie er sagt. Um 6.45 Uhr aufstehen, duschen, frühstücken, dann mit dem Hund Gassi gehen. Plausch mit den Nachbarn bis um 9 Uhr. Gartenarbeit bis zum Mittagessen. Nachmittags im Haus die Fenster streichen. „Wenn es schön ist, arbeitet man draußen, wenn es regnet, ist man drinnen“, so seine gegenwärtige Philosophie.
Erst vor kurzem hat der Mann freiwillig seinen eintönigen Bürojob gekündigt. Da sich der hochqualifizierte Arbeitslose gute Chancen ausrechnet, demnächst wieder einen Job zu finden, gehört er von seiner seelischen Verfassung her gewissermaßen zur Creme der Erwerbslosen. Deren unterschiedliche Befindlichkeiten haben drei Sozialwissenschaftler in einer Studie ausgelotet. Fazit: Nicht alle Arbeitslosen stecken im Tief. Der seelische Zustand der Betroffenen richtet sich vielmehr vor allem danach, „ob und in welchem Maße die Arbeitslosigkeit die eigenen erwerbsbiographischen und sonstigen Lebenspläne in Frage stellt“, so die Forscher. Wer das Gefühl hat, nur vorübergehend ohne Arbeit zu sein und weiterhin die Kontrolle über sein Leben zu behalten, kann auch die Zeit ohne Job gut verkraften.
Erwerbslose fühlen sich unterschiedlich bedroht
Zur Gemütsverfassung befragten die Forscher vom Soziologischen Institut in Göttingen 115 arbeitslose Frauen und Männer aus den niedersächsischen Städten Northeim und Uslar. Die Zusammenstellung der Befragten sollte in etwa die Grundgesamtheit der Erwerbslosen im Forschungsgebiet repräsentieren. Die Interviews wurden im Jahre 1989 geführt, aber erst jetzt veröffentlicht. Drei Hauptgruppen kristallisierten sich bei den Befragungen heraus. Sie unterschieden sich vor allem darin, in welchem Maße sich die Betroffenen durch die Arbeitslosigkeit bedroht fühlten.
Zur ersten Gruppe, den Hoffnungsvollen, bekannten sich zumeist jüngere Erwerbslose, die oft auch gut qualifiziert waren. Mehr als 80 Prozent aus dieser Gruppe waren kürzer als ein Jahr, 65 Prozent sogar kürzer als ein halbes Jahr arbeitslos gemeldet. Die Sozialforscher rechneten zu dieser Gruppe immerhin ein Fünftel der befragten Männer und etwa ein Zehntel der Frauen.
Enger wurde es für die zweite Gruppe, die Gefährdeten. Sie sahen ihre Erwerbsbiographie durch die Arbeitslosigkeit schon ernsthaft bedroht. Unter den Interviewten waren viele Facharbeiter und Handwerker. Jeder dritte war älter als 45 Jahre. Die Arbeitslosigkeit dauerte nur noch bei knapp einem Drittel kürzer als ein halbes Jahr, bei nur noch knapp über der Hälfte weniger als ein Jahr. Bei den Männern wurden 42 Prozent, bei den Frauen etwas mehr als 54 Prozent zu dieser Gruppe gezählt.
Für die dritte Gruppe, die der Resignierten, war die Arbeitslosigkeit schon zur lebensbestimmenden Realität geworden, aus der es kaum noch ein Entrinnen gab. In dieser Gruppe der häufig schlechter Qualifizierten war die Mehrzahl älter als 45 Jahre, und 80 Prozent waren mittlerweile zwei Jahre und länger ohne Job.
Ein Drittel der Männer und rund ein Zehntel der Frauen gehörten dazu. Die Forscher rechneten aus allen Befragten noch jene heraus, die sich in einem Übergangsstadium zum Beispiel ins Rentenalter oder – selbstgewählte – Hausfrauendasein befanden.
Vor allem das Alter der Erwerbslosen entscheidet über deren künftige Chancen auf Wiedereinstellung. „In einem Maße wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik macht sich soziale Diskriminierung am Arbeitsmarkt heute am Alter fest“, mußten die Sozialforscher erfahren. Die Scheidelinie für die Männer liegt zwischen 45 und 55 Jahren, die Ausgrenzung beginnt also schon 20 Jahre vor Erreichen des offiziellen Rentenalters. Bei Frauen liegt die Altersgrenze im Durchschnitt sogar noch davor. Selbst kontinuierliche Berufsverläufe und die von den Arbeitgebern oft beschworenen guten Qualifikationen würden „radikal entwertet“, so die Forscher, wenn das Geburtsdatum nicht mehr stimmt. „Immer hat es bei der Vorstellung am Alter gehapert. Lügen kann man sowieso nicht, wenn man die Papiere abgibt“, brachte ein 53jähriger Arbeiter seine vergebliche Jobsuche auf den Punkt.
Lebensgefühl prägt Einstellung zur freien Zeit
Wer noch Aussicht hat, bald wieder einen Job zu finden, kann seine freie Zeit zumindest eine Weile genießen. „Für mich ist das jetzt, wie gesagt, eher wie Freizeit, Urlaub. Früher habe ich immer meine zwölf bis vierzehn Stunden malocht. Es ist daher insgesamt eine eher angenehme Zeit, um wieder einmal etwas anderes kennenzulernen“, schilderte ein 36jähriger Leitender Angestellter. Schon nach wenigen Monaten aber steigt die Unruhe, auch bei den Hoffnungsvollen. „Der Druck wird doch immer stärker. Daß man nervöser wird, sich sagt, daß man vielleicht doch wieder einen Job annehmen muß, den du nicht so magst“, berichtete ein Angelernter im Dienstleistungsbereich, 28 Jahre alt.
Bei den Angehörigen der zweiten Gruppe, den Gefährdeten, wurde die verrinnende Zeit allmählich zum Feind. Die Arbeitslosen wissen, daß die Uhr gegen sie läuft. „Mit der Zeit ist es das gleiche geblieben. Ich mache nur langsamer, damit die Zeit nicht so lange wird. Ich teile mir eben meine Arbeit für den Haushalt und für die Familie über den Tag ein“, erzählte eine 32jährige Angestellte. Ein 40jähriger Angestellter: „Es ist schwerer geworden, und zwar die Abstände, daß man das Gefühl hat, die Decke fällt mir auf den Kopf, werden echt kürzer.“ Bei den Resignierten, der dritten Gruppe, beobachteten die Wissenschaftler teilweise einen regelrechten Zeitverfall. „Ich schlafe, so lange ich will“, berichtete eine 50jährige Angestellte. „Ich bin ständig müde, habe große Kreislaufprobleme. Ja, dann mache ich meine Hausarbeit, wasche, koche, und danach halte ich meinen Mittagsschlaf.“
Das Lebensgefühl der Erwerbslosen wird nicht nur durch die Hoffnung oder Verzweiflung geprägt, die sich aus den objektiven Chancen am Arbeitsmarkt ergibt. Fast alle Erwerbslosen suchen auch nach Möglichkeiten, ihre Arbeitslosigkeit psychisch und teilweise auch finanziell zu kompensieren – und entwickeln dabei erstaunliche Fähigkeiten. Sowohl bei der ersten als auch der zweiten Gruppe spielt der Nebenerwerb durch Schwarzarbeit eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Schwarzjobs erhöhen Chancen am Arbeitsmarkt
„So nebenher mal den Leuten ein bißchen zur Hand gehen, das mache ich schon“, berichtete ein 35jähriger Arbeiter. „Da werde ich auch einmal angerufen, und man fragt mich: Kannst Du nicht mal das und das für uns machen? So handwerkliche Sachen beispielsweise. Reparaturen eben. Man hat ja jetzt Zeit. Von die Wohnung tapezieren bis Schrank neu lackieren. Ich bin praktisch ein Kindermädchen für alles.“ Wer durch Vereinsmitgliedschaften oder andere öffentliche Funktionen über ein soziales Netzwerk verfügt, kann mit Hilfe der Schwarzarbeit eine Zeitlang seinen Lebensstandard sichern und ein gesundes Selbstbewußtsein erhalten.
Keineswegs sei die Schwarzarbeit ein Hindernis, wieder einen richtigen Job anzunehmen, betonen die Sozialforscher. Im Gegenteil, gerade die regelmäßige Schwarzarbeit sorge dafür, daß die Erwerbslosen auch bei ihrer Jobsuche „trotz zahlreicher Rückschläge und enttäuschter Erwartungen am Arbeitsmarkt nicht lockerlassen“. Schwarzarbeit schütze „bis zu einem gewissen Grad davor, am Arbeitsmarkt zu früh klein beizugeben und den Wert der eigenen Arbeitskraft zu schnell zurückzustufen“.
Wer aber kaum noch Hoffnung auf einen normalen Job hat, für den ist auch die Schwarzarbeit keine echte Alternative. „Habe meinen Nebenverdienst gehabt, habe da ein bißchen geholfen. Sie werden aber auch in der Gegend ausgenutzt. Habe da geholfen und nichts bezahlt bekommen. Die meinen, die Arbeitslosen sind alle blöde“, berichtete ein 40jähriger Arbeiter.
Wer sich in der Familie nützlich machen kann oder in Haus und Garten werkelt, kann auch damit wenigstens vorübergehend die fehlende Erwerbstätigkeit kompensieren, stellten die Forscher fest. Konsum dagegen hilft weniger gegen Depressionen und belastet auch zu sehr die schmale Haushaltskasse.
Männer genössen sogar – aber nur für eine Weile – ihre Rolle als „Hausmann“ und besonders aufmerksamer Vater. Entgegen einem weitverbreiteten Vorurteil aber könnten die Frauen ihre Arbeitslosigkeit keineswegs auf Dauer durch Familie und Haushalt ausgleichen.
„Man fühlt sich irgendwie minderwertig, wenn man nach Jahren der Erwerbstätigkeit zu Hause sitzt. Ich bin zu etwas ausgebildet und kann nicht arbeiten. Wenn mein Mann zu mir sagt, du bist ja eine Hausfrau oder so, dann komme ich mir immer wieder vor wie ein Mädchen, das nichts gelernt hat“, erzählte eine 32jährige mittlere Angestellte. Nicht nur der unausgefüllte Tag, besonders die fehlende Berufstätigkeit belastet. Je länger die Arbeitslosigkeit dauert, desto schwerer wiegen auch die finanziellen Probleme.
Abschied von Konsumwünschen
Nicht wenige von den Dauerarbeitslosen verabschieden sich schon aus Selbstschutz von den Maßstäben der Erwerbsgesellschaft, die gerade Ältere so brutal ausgrenzt. „Jetzt stehe ich gelassen darüber, aber da muß man erst durch, bis man soweit ist. Ich bin durch. Für mich wäre es eher eine Belastung, wieder Arbeit zu haben. Ich lebe jetzt nach meiner eingebauten Uhr. Seitdem ich arbeitslos bin, bin ich auch nicht mehr richtig krank geworden“, sagt ein 51jähriger Arbeiter.
Manche, wie ein 56jähriger Arbeiter, haben sich mit ihrem geringen Einkommen eingerichtet: „Habe von jeher bescheiden gelebt. Im Vergleich zu den Entwicklungsländern geht es uns gut. Aber wenn man andererseits sieht, wie die Unternehmer Pelze, Jachten und so weiter kaufen. Kaufe mir überhaupt keine neuen Sachen mehr. Ganz einfach und das billigste Essen. Sonderangebote. Holz zum Brennen sammele ich mir selber. Das kaufe ich nicht. In Gastwirtschaften bin ich sowieso nicht gegangen. In Kinos gehe ich sowieso nicht. Ich gehe spazieren in der Natur, die ist am ehrlichsten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen