: Muß Geld wirklich stinken?
■ Neues vom "Knochen": Der ökonomische Hintergrund der Prenzl'berger Währungswirtschaft / Großfinanz verhindert Erfolg der "Schwundgeldtheorie"
Geld muß stinken, forderte vor mehr als 2.300 Jahren Diogenes, der Frühanarcho in der Tonne. Zu diesem Zweck sollten Münzen aus Knochen und nicht aus Edelmetall bestehen. Gold- und Silbermünzen können leicht verschatzt werden und würden dann im Wirtschaftskreislauf fehlen. Es kommt zu Absatzstockungen, Pleiten und Arbeitslosigkeit. Stinkende Knochen würden jedoch die Geldbesitzer veranlassen, derartige Tauschvermittler auszugeben, statt sie als Wertaufbewahrungsmittel zu mißbrauchen.
Jetzt haben Künstler am Prenzlauer Berg ihre „Knochen“ in Umlauf gesetzt. Die Geldscheine im Wert von 20 Mark stinken zwar nicht, müssen jedoch wöchentlich mit einer Marke im Wert von 1 DM beklebt werden, um ihre volle Kaufkraft zu behalten. Dieses Geld unterliegt also einem Kaufkraftverlust, dem der Besitzer nur entgehen kann, wenn er sie mit gekauften Marken versieht. Auch diese „Durchhaltekosten“, wie der Ökonom J.M. Keynes diese „Geldsteuer“ (N. Johannsen) nennt, veranlassen den Geldbesitzer, sein Geld schleunigst in den Verkehr zu bringen.
Mit diesen Durchhaltekosten wird die von den Anarchisten P. J. Proudhon und Silvio Gesell geforderte Gleichstellung von Geld und Waren erreicht. Denn auch die Waren unterliegen einem „Schwund“ (Gesell). Obst verfault, Korn fressen die Mäuse, Konserven verursachen Lagerungskosten, Kleider werden unmodern, Maschinen rosten. Nur gehortetes Edelmetall rostet nicht und verursacht kaum Aufbewahrungskosten. Der Warenbesitzer muß verkaufen, der Geldbesitzer braucht nicht zu kaufen, hat Karl Marx ganz im Sinne Proudhons einmal gesagt.
Die „Knochen“ sind dem „Schwundgeld“ der kleinen Tiroler Landgemeinde Wörgel nachgeahmt, die 1932, während der großen Weltwirtschaftskrise, ein derartiges Klebemarken-Geld eingeführt hatte, um das Geschäftsleben wieder in Gang zu bringen. Mit Erfolg!
Die Umsätze stiegen und die Arbeitslosigkeit nahm erheblich ab. Während sie in ganz Österreich in den 13 Monaten dieses „Freigeld“-Experiments um 9% zunahm, fiel sie in Wörgl um 25%. Die Gemeindeverwaltung konnte wieder öffentliche Arbeiten durchführen lassen. Die Straßen wurden repariert und die Bahnhofstraße mit einer Beleuchtung versehen. Es wurden eine Brücke, eine Sprungschanze und ein öffentliches Waschhaus gebaut und eine Armenküche eingerichtet. Außerdem konnte die hoch verschuldete Gemeinde ihre Schulden tilgen. Auch umliegende Gemeinden wollten sich diesem Experiment anschließen, doch es wurde von der Zentralbank verboten.
Auch in anderen Ländern hat es derartige Selbsthilfeaktionen gegeben, in Deutschland bereits 1931 die ebenfalls verbotene Wära- Tauschgesellschaft, die ein Bergwerk im Bayerischen Wald wieder in Betrieb setzte. Von weiteren Initiativen wurden aus der Schweiz, den USA, Frankreich, Spanien und Brasilien berichtet. 1944 hatte Keynes die Schwundgeldidee in sein IWF- und Weltbank-Konzept eingebaut, doch US-Großbanken verhinderten die praktische Umsetzung.
Gesell und Keynes wollten mit Durchhaltekosten für Geld auch den Zins überwinden. 1990 betrug die Zinsbelastung der BRD etwa 620 Mrd. Mark, der größte Teil Geldzins. Doch den Menschen, die durch Absatzstockungen ruiniert und arbeitslos gewordenen waren, ging es vorrangig um die Überwindung der Zirkulationskrisen. Klaus Schmitt
Klaus Schmitt ist Herausgeber des Buches: „Silvio Gesell – ,Marx‘ der Anarchisten?“ Berlin 1988, Karin- Kramer-Verlag
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