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Sich im Bewegen erfrischen

Auch der Westen hat eine Choreographie der Gelassenheit  ■ Von Gabriele M. Franzen

„Wie schwimmen in der Luft“ beschreibt ein sehr alter, chinesischer Text die Bewegungen des Tai Chi Chuan. Und so flimmerte vor zehn Jahren die großartige Schauspielerin Brigitte Horney durch den Äther. Als „des Teufels Großmutter“ amüsierte sie das deutsche Fernsehpublikum mit ihrem neuesten Spleen: Tai Chi, einem Asiaticum.

Inzwischen hat fast jeder mal im Park die sanften und fließenden Bewegungen von Tai Chi Übenden in vivo gesehen. Oder vor dem Fernsehen, das längst Tai Chi in seine Fitnessprogramme aufgenommen hat: als Körper- und Seelengymnastik. Im chinesischen Wortbild Tai Chi Chuan verbergen sich zwei Aussagen. Tai Chi ist das „höchste Prinzip“ des Wirkens und der Bewegung der Natur in der Welt. Chuan ist die „Faust“. Somit ist Tai Chi Chuan eine Bewegungsfolge: Die Übenden versuchen, sich in einem ritualisierten und meditativen Faustkampf (gegen einen „Schatten“), natürlich zu bewegen.

„Im Tai Chi sein“ ist in jeder beliebigen Bewegung und Alltagssituation möglich. Es gibt Tai-Fensterputzen, das Autofahren nach Tai, den Tai-Führungsstil. Tai Chi als „Schattenboxen“ ist bloß eine raffiniert ausgeklügelte Übungsform. Sie mobilisiert schonend die Geschmeidigkeit in den Gelenken. Muskeln und Wirbelsäule werden gestärkt. Der (Energie-)Kreislauf erfährt Anregung und Harmonisierung. Bei aller Bewegtheit werden Konzentration und Ruhe gefördert.

Militaristische Gymnastik

Den Westler mutet das exotisch an. Von der abendländischen Tradition einer Zack-Zack-Gymnastik militaristischen Ursprungs bis hin zu gesundheitszerrendem Aerobic – die weich fließenden, erdverbundenen Bewegungen des Tai Chi stehen dazu in deutlichem Kontrast. Wir alle verkörpern diese Tradition. Mit durchgedrückten Beinen und gestreßten Kniescheiben stauchen wir den Rücken. Wir haben verlernt, in Kontakt zu bleiben mit unserem Instinkt dafür, wie unser Körper sich bewegen will. Statt uns in unseren Bewegungen auch im Alltag zu erholen und uns zu heilen, schädigen wir uns oft. Wenn nun das chinesische Tai Chi an unsere starren und das Machen von Haltungen betonenden, europäischen Körper dringt, dann „quietscht“ es bisweilen.

Im Westen gibt es andere Traditionen. Die Nationalsozialisten haben sie in Deutschland unterdrückt. „Die neue Körperlichkeit“, die Sehnsucht nach der Verbindung von Körper, Geist und Seele, schwappt seit den Siebzigern aus Amerika herüber. Verfolgt man die verschiedenen Strömungen zurück, so stößt man häufig auf Elsa Gindler und ihre „Arbeit am Menschen“. Elsa Gindler lebte und wirkte von 1885 bis 1961 in Berlin; bis zur Auflösung des Deutschen Gymnastikbundes 1933 war sie eine der Vorsitzenden. Ursprünglich von der „harmonischen Gymnastik“ herkommend, entwickelte sie seit 1918 nach einer eigenen, schweren Lungenkrankheit Gespür und Bewußtheit für die umfassende Erholungsreaktion im Organismus. Sie versuchte die ordnende, ausrichtende Selbstregulation durch Bewegungen zu stimulieren, die in Gelassenheit auszuführen waren. Sich in Bewegungen erfrischen, anstatt zu ermüden: Das ist möglich, wenn wir Menschen „Natur erlauben“, anstatt durch angenommene Gewohnheiten Leben immer wieder zu behindern. Dann ist das Ziel von Bewegungsarbeit „nicht eine Übung zu erlernen, sondern zu versuchen, durch diese Übung die Intelligenz zu vermehren..., die Erreichung von Konzentration“. Behutsame Versuche zu ganz elementaren Berwegungen und unter spezifischen Fragestellungen ermöglichen dies: Welche Bewegungen wünscht mein Körper? Wie bewege ich mich? Im Sitzen, beim Gehen, in der Bewegung einzelner Gelenke? Das Lernen mühelos geschmeidiger Bewegung wird so zum Verlernen unnötiger Spannungen und Anstrengungen.

Brigitte Horney, die inzwischen verstarb, war mit ihrer Rolle eine der ersten Schülerinnen von „Moveri“, einer Methode, die Gindler- Arbeit und Tai Chi zu verbinden sucht. „Natur erlauben“ – „dem Tao folgen“ ist die gemeinsame Praxis dieser westlichen und östlichen Wege, Leben und Gesundheit zur Entfaltung zu bringen. Auf diese Weise können wir Europäer die Bewegungen des Tai Chi reichhaltig aufspüren und erarbeiten. Es bleibt nicht bei einer neuen, exotischen und bloß äußerlichen Choreographie unsere eingeschränkten und verspannten Bewegungsschemata.

Gesundheit wird gefördert in der Zuwendung zum Leben, in der Achtung gegenüber allem Lebendigen innerhalb und außerhalb von uns. Dies ist eine existentielle Lebensaufgabe, für die wir uns immer wieder Anregungen holen. Ein Besuch beim Arzt „erledigt“ dieses Engagement genausowenig wie ein einmaliger Besuch irgendeines Kurzseminars. Das einzelne Leben verwirklicht sich immer nur wieder in der Qualität des eigenen Verhaltens.

Gindler-Arbeit und Tai Chi Chuan im Vergleich. Bei den Gesundheitstagen am Samstag, 13.30 Uhr.

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