■ Bücher.klein: Einmischen, aber wie?
„Dies ist nicht die Zeit für Politikverdrossenheit.“ Mit diesem Credo ist jetzt ein Buch erschienen, in dem das „Bürgerforum Paulskirche“ und das „Büro für notwendige Einmischung“ eine Textsammlung präsentieren, die Rahmen und Inhalt einer neuen Bürgerbewegung aufzeigen sollen. Gleich vorweg: Die Idee ist gut, aber die Ausführung zu beliebig.
Mit dem Begriff Bürgerbewegung oder Bürgerrechtsbewegung verbindet sich in Deutschland ja eine feste Vorstellung. Bürgerechtler nannten sich die ungehorsamen DDR-Bürger, die ihre Republik nicht verlassen, sondern verändern wollten. Die Erfahrungen der Bürgerrechtler gehören zu dem wichtigsten Kapital, welches die DDR in den neuen deutschen Staat miteinbrachte – ein Kapital, das derzeit weitgehend brachliegt. Das bundesdeutsche Pendant zur Bürgerrechtsbewegung waren die Bürgerinitiativen. Der Unterschied liegt auf der Hand: Während die Bürgerrechtsbewegung ihren Staat in einem umfassenden Sinn reformieren wollte, lag die Durchschlagskraft der BIs in ihrem partikularen Ansatz.
Das Buch nimmt diese Unterschiede ohne weitere analytische Anstrengung additiv auf, bleibt aber im wesentlichen in der Tradition der Bürgerinitiativen. Es gibt Beiträge aus dem Bereich demokratische Rechte, die sich gegen eine Militarisierung nach innen wenden, wie auch Beiträge zur neuen Rolle der Bundeswehr. Die Öko-Bewegung kommt noch einmal zum Zug sowie Vertreter von Flüchtlingsinitiativen. Dabei handelt es sich durchaus um interessante Artikel, der Mangel liegt in der Konzeption. Was zu kurz kommt, ist das eigentliche Anliegen: Überlegungen zu einer neuen Bürgerrechtsbewegung anzustellen. Einmal abgesehen von der Frage, ob ein Buch eine Bewegung anschieben kann, wäre es doch interessant gewesen, mehr darüber zu erfahren, wie eine solche Bewegung, die sich die ost- und westdeutschen Erfahrungen zunutze macht, aussehen könnte. Klar ist jedenfalls, daß es, wie in den Beiträgen von Brumlik, Jungk und Heilmann ja auch thematisiert wird, um mehr als punktuelle Fragen geht. Was wir brauchen, ist eine Bewegung, die sich der Mittel der Bürgerinitiativen bedient und doch ein umfassenderes Ziel verfolgt: die Durchsetzung einer zivilen nichtnationalistischen Gesellschaft. JG
PS: Eines soll nicht unerwähnt bleiben. Wenn es auch noch keine neue Bürgerbewegung ausmacht, ist es dennoch nützlich, einmal einen großen Teil der existierenden Gruppen und Initiativen aus den genannten Bereichen mit Anschrift und Telefonnummer beisammenzuhaben. Im Anhang sind die Herausgeber diesem Bedürfnis erfreulicherweise nachgekommen.
Bürgerforum Paulskirche und Büro für notwendige Einmischung (Hrsg.): „Anleitung zum politischen Ungehorsam“, Knaur-Taschenbuch, 14,90 DM
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