: Clinton patzt im Diplomatenspiel Von Ralf Sotscheck
Was sind schon ein paar Massaker in Nordirland, wenn weit höhere Interessen auf dem Spiel stehen: Die Regierungen in London, Dublin und Washington müssen schließlich das Stimmvieh bei Laune halten und sich die Unterstützung ihrer Parlamente sichern. So spielt man sich die Toten wie einen Fußball zu, während ein paar putzige nordirische Politiker auf der Ersatzbank Vorschläge erarbeiten, wie das Gemetzel beendet werden könnte. Da außer ihnen jedoch niemand daran interessiert ist, gab es von allen drei Regierungen die rote Karte. Man läßt sich eben nicht gerne ins Handwerk pfuschen. – Die britische Regierung favorisiert wieder mal Mehrparteiengespräche. Das hat sich bewährt und ändert erwiesenermaßen nichts am Status quo. So kann Premierminister John Major den nordirischen Unionisten, die für die Union mit Großbritannien eintreten, ungestört die Stiefelchen lecken, ist er doch im Unterhaus auf ihre Stimmen angewiesen, weil auf die blöden Tory-Hinterbänkler kein Verlaß ist. Albert Reynolds, Majors irischer Amtskollege, hat das Showbusineß von der Pike auf erlernt: Er tingelte früher als Countrysänger übers Land. Das kommt ihm jetzt zugute, wenn er händeringend beteuert, daß die Lösung des Nordirland-Konflikts für ihn Priorität habe. Manchmal klingt er fast glaubwürdig. In Wirklichkeit hofft er freilich, daß der Nordteil der Insel durch eine gewaltige Explosion abgesprengt und in den Südatlantik abgetrieben wird.
Lediglich US-Präsident Bill Clinton beherrscht das Diplomatenspiel nicht ganz. Seine Vorgänger wußten dagegen genau, wie sie die Stimmen der Millionen irischstämmigen US-AmerikanerInnen fangen konnten. John F. Kennedy war darin ein Meister. Er schmierte der irischen Nation so viel Honig ums kollektive Maul, daß er heute noch überaus beliebt ist und sein Foto in zahlreichen Kneipen hängt. Ronald Reagan war noch erfolgreicher: In seinem „Heimatort“ – irgendein Urahn hatte mal in Ballyporeen gelebt – wurde gar eine ganze Kneipe nach ihm benannt, und eine größere Ehre hat Irland nicht zu vergeben.
Clinton ist dagegen ein Trampeltier. Als der Noch-Bürgermeister von New York, David Dinkins, den Sinn-Féin-Präsidenten Gerry Adamas in die USA einlud, verweigerte Clinton das nötige Visum, weil Adams „auf höchster Ebene in die Planung“ der IRA- Strategie verwickelt sei. Das habe er aus London und Dublin erfahren. Beide Regierungen seien gegen ein US-Visum für Adams. Schwerer diplomatischer Fehler. Major lachte sich ins Fäustchen, Reynolds raufte sich die Haare: Zwar ist er in der Tat gegen das Visum für Adams, aber das geht die Öffentlichkeit ja nichts an. Clinton versuchte zu retten, was nicht mehr zu retten war, und verkündete prompt, daß er große Hoffnungen auf die Friedensinitiative von Gerry Adams setze. Wenn man beide Äußerungen zusammenfaßt, meint Clinton offenbar, daß Adams ein Terrorist ist – aber ein ganz lieber. In der alten Welt hat der Clintonsche Rhabarber das Diplomatenspiel vorübergehend aus dem Gleichgewicht gebracht. Reynolds war gezwungen, Clinton und Major mediengerecht vors Schienbein zu treten, während der britische Premierminister die unionistischen Stiefel für eine Weile noch heftiger lecken muß.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen