: Halb im märchenhaften Nirgendwo
„Käthchen von Heilbronn“, von Armin Petras lakonisch geerdet im Kleist-Theater Frankfurt/Oder ■ Von Peter Laudenbach
Kleists „Käthchen von Heilbronn“ ist ein Drama, das seinen Regisseuren tückische Fallen stellt: Das Abgleiten in Kitsch oder, genauso deprimierend, eine rechthaberische Denunziation der Hardcore-Romantik, des Mittelalters mit Burgen, Fackeln und Köhlerhütte. Zu fremd ist die Gefühlswelt des Stückes, zu sehr trivialisiert sind mittlerweile die Bilder von Rittern und Burgfräulein. Armin Petras hat das „große historische Ritterschauspiel“ in Frankfurt/Oder ziemlich ahistorisch und fern jeder Mittelalterromantik inszeniert: In Kleists Geburtsstadt spielt das Stück halb in der Gegenwart, halb in einem märchenhaften Nirgendwo.
Fast kindlich-gelöst scheint das Spiel, frisch, unschuldig und in bestem Sinne naiv. Ein alter Trick, der selten mit solcher Leichtigkeit, so intelligent funktioniert: Der Theatervorgang wird ausgestellt. Ein Spiel, mehr nicht. Manchmal wird das betont, etwa wenn Käthchen plötzlich die Mutter ihres Liebsten spielt oder wenn zwei Schauspieler liebevoll Castorfs Volksbühne parodieren und uns vorführen, wie dort das Stück inszeniert worden wäre: „Du mußt den Leuten deinen Arsch zeigen!“– „Das ist kein Eimer, das ist eine Metapher. Da mußt du reinkacken. Ein beschissenes Land in Europa? Deutschland!“
Statt der Requisiten aus dem romantischen Fundus eine ironische Situierung der Gegenwart. Die Bühne: ein Quadrat, begrenzt von himmelblauen, mit Wölkchen verzierten Stellwänden. Links ein Fotoautomat, rechts eine Glasvitrine, beides einigermaßen obskur. Kleists Verse sind mit Alltagsslang durchsetzt. Käthchen (etwas eindimensional, aber schön mädchenhaft: Christin König) ist eine Vorstadtgöre, Graf Wetter vom Strahl ein glatter Beau im weißen Leinenanzug. Das Femegericht wird von einer abgerissenen Gestalt mit einer Rumflasche in der Hand verkörpert; aus einem Ritter wird ein Rocker, statt auf sein Schwert stützt er sich auf eine E-Gitarre, statt einer Rüstung trägt er ein Motörhead-T-Shirt. Käthchens Vater, wunderbar trocken-melancholisch gespielt von Horst Damm, ist die Karikatur eines verkrachten Kleinbürgers. Als er klagt, Wetterstrahl habe seine Tochter „verführt, einfach gebumst“, will er sich mit einer Hundeleine an der Tür aufhängen.
Regisseur Petras schreckt nicht vor platten Scherzen zurück. So locker und charmant wurde das brennende Schloß des Grafen wohl noch nie zur Kenntnis genommen: „Irgendwie stinkt's hier...“ – „Nach angebranntem Schloß.“ Mit solchen Scherzartikeln gelingt es Petras, dem Text die Feierlichkeit auszutreiben, ohne ihn dem Gelächter auszuliefern. Die Figuren ertrinken nicht nur in den Kalauern, im Gegenteil, durch die verspielte Komik läßt sich der Zuschauer ungeschützt auf sie ein. Nur durch die Brüche kann Petras die schwebende Romantik, die flirrende Gefühlswelt des Stücks retten.
Der Regisseur baut Nummern, die das Stück eigensinnig erzählen. So wird aus der Liebesszene unterm Holunderbusch eine so komische wie anrührende Suff-Szene: Nicht im Traum, sondern betrunken am Boden liegend und sich in einer Rum- Pfütze aalend, erzählt Käthchen ihrem Geliebten in spe, weshalb sie seiner Liebe (von der er noch nichts wissen will) so sicher ist – Käthchens Unschuld, ihre somnambule Hingabe ans Gefühl wird lakonisch geerdet. Dieses Käthchen nimmt man weit ernster, sie berührt mehr als die Märchenprinzessin der Konvention: sozialer Realismus, sozusagen.
Dazu gehören auch die Schlager, von denen die Inszenierung wimmelt. Sie sind nicht bombastisch-entlarvend wie bei Kresnik, sondern ertönen zart und ungeschützt. Die Figuren singen sie mit unsicheren Stimmen – ein hilfloser Ausdruck der Gefühle. Am Ende, als sich die Liebenden endlich gekriegt haben, spielt ein Schauspieler leise auf einem kleinen Xylophon, und Käthchen singt leise, fast privat, ohne alle Theatertönerei, die alte TonSteineScherben- Schnulze „Komm schlaf bei mir...“ Logischerweise wird auch das noch witzig-melancholisch gebrochen; ein übriggebliebener Verehrer Käthchens gibt, niedergeschlagen ins Publikum schauend, eine Kontaktanzeige auf: „Einsamer sucht Einsame zum Einsamen, Einsamer sucht Einsame zum Einsamen...“
Es ist eine Schande, daß diese Inszenierung nur auf der Probebühne des Frankfurter Kleist- Theaters zu sehen ist, vor maximal 54 Zuschauern, ein bis zweimal im Monat. Armin Petras ist ein so hinreißender Regisseur, daß jeder Intendant, der bei Verstand ist, seine Finger nach diesem Talent ausstrecken müßte. Es ist eine Schande, aber es ist kein Zufall: Das Marktsegment „Junge Wilde, Ost“ ist mit Castorf und dem bieder-albernen Haußmann gesättigt. Ein Problem der Medienwahrnehmung, der eigensinnige Talente zum Opfer fallen: Wer jetzt noch ein schräges Theater macht, muß es sich gefallen lassen, als Epigone zu gelten. Daß Petras etwas doch sehr anderes als Castorf betreibt, stört dabei nicht weiter: Hat man erst einmal einen Stempel, muß man nicht mehr genau hinsehen. Dabei ist es ein enormer Genuß, diesem „Käthchen“ zuzuschauen. Selbst schuld, wer sich das entgehen läßt.
Heinrich von Kleist: „Das Käthchen von Heilbronn“. Regie: Armin Petras. Bühne: Richard van Luijk. Mit: Christin König, Gunnar Teuber, Horst Damm, Rahel Ohm u.a.
Nächste Vorstellungen: 15.11., 6.12., 20.12., jeweils 19 Uhr. Karten kann man unter Tel. 0335/32 54 80 bestellen.
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