: Die Logik des laufenden Schwachsinns
■ Wie eine irrige Argumentation das Kunstprojekt am Rembertikreisel in Mißkredit brachte / Eine Chronologie
Eine „Eskalation“ der Ereignisse sieht Kultursenatorin Helga Trüpel in den jüngsten Diskussionen um die „Kunst im öffentlichen Raum“ und deren Projekte. Unter zunehmendem Beschuß steht dabei die „Open Air“-Ausstellung am Rembertikreisel: Nach diversen behördlichen Eingriffen und Ärger mit dem Verwaltungsgericht, nach einigen empörten Leserbriefen und dem passenden „Skandal“-Geschrei in den einschlägigen Boulevardblättchen, hetzt nun die DVU- Fraktion gegen das Projekt. In völliger Verdrehung aller bisherigen Argumente soll nun der vermeintliche Volkszorn instrumentalisiert werden: Der Senat solle künftig dafür sorgen, daß nichts mehr staatlich unterstützt wird, „was von der Mehrheit der Bevölkerung als ,abstoßend' und ,häßlich' empfunden wird.“ Am nächsten Dienstag wird der Antrag in die Bürgerschaft eingebracht. Damit hat sich die Diskussion fast vollständig von den Inhalten der Kunst abgelöst. Um die Eigendynamik des „irreführenden Schwachsinns“ zu dokumentieren, die u.a. der geschädigte Künstler Fritz Rahmann inzwischen beklagt, stellen wir den bisherigen Verlauf noch einmal dar.
Anfang des Jahres gibt das Referat für „Kunst im Öffentlichen Raum“ namens des Kulturressorts grünes Licht für das Projekt „Open Air“. Der Künstler Andreas Wegner wird mit der Organisation beauftragt. Er lädt neun KünstlerInnen und Gruppen ein, um sich vor Ort mit den Problemen rund um den Rembertikreisel auseinanderzusetzen. Die Beteiligten bekommen je 4000 Mark für ihren Beitrag, einschließlich Material und Reisekosten. Durch die „gezielte Aktion“, so heißt es in einer Projektbeschreibung Wegners, „wird die Bevölkerung auf die zukünftigen städtebaulichen Veränderungen des Gebiets aufmerksam gemacht und aufgefordert, eigene Konzepte, Gedanken, Ideen etc. zur künftigen Nutzung des Kreisels zu entwickeln.“
Noch vor der Eröffnung der Ausstellung am 15. Oktober aber schreitet das heimische Gartenamt ein. Der Kreisel wird gerodet. Daß damit ein inoffizieller Druckplatz für die Junkies zerstört wird, ist angeblich nicht ausschlaggebend: Umweltsenator Ralf Fücks erklärte, daß lediglich „die Randstreifen freigemacht werden und das Gebiet ausgelichtet“ werden sollte. Für die Künstler aber stellte sich nun ein völlig veränderter Kontext. Kurzzeitig wird erwogen, das Projekt aufzugeben, weil nun folgende Assoziationen möglich seien: „1.: Der Ort wird gerodet, damit eine Kunstausstellung stattfinden kann; 2.: Der Ort wird gerodet und als Entschuldigung gibt es Kunst.“ Eine Protestanzeige der Künstler erscheint in der taz.
Die Künstlerin Marlene McCarty, die sich u.a. mit der Ästhetik von Schlagworten und Zeichen auseinandersetzt, reagiert mit ihrem Beitrag auf die neuerlichen „Zelten verboten“-Schilder des Straßenbauamtes: Sie ersetzt diese durch stilechte Schilder mit der Aufforderung „Die Hose runterlassen!“. Fünf Tage nach der Eröffnung montiert das Amt die Schilder ab; gleichzeitig verschwinden die Steinobjekte von Fritz Rahmann.
Organisator Wegner klagt gegen die Stadtgemeinde Bremen gegen den Eingriff. Inzwischen veröffentlicht das Kulturressort eine Presseerklärung: „Kunst soll auch Debatten und Kontroversen auslösen - und das scheint mit der Kunst am Rembertikreisel umfassend gelungen zu sein“, heißt es da. In einer Meldung des Weserkurier wird die Senatorin hingegen anders zitiert: Sie verteidige das von ihr geförderte Projekt als „gelungene Provokation“.
Dieses Zitat macht sich das Verwaltungsgericht zunutze. Am 28. Oktober entscheidet es gegen die Künstler. Daß der Ausstellung großer Schaden entstanden sei, vermöge die Kammer nicht zu erkennen, „zumal das Projekt laut Pressemitteilung als ,gelungene Provokation' bezeichnet worden ist“.
Am Tag, als das Urteil presseöffentlich wird, verschwindet auch der Teppich von Kirsten Starcke vom Kreisel. Das vermeintliche Argument der Senatorin macht nun schnell die Runde. Im Bremer Anzeiger kommentiert man: „Den Steuerzahlern muß das Messer in der Tasche aufgehen, wenn solchge Provokation von der Trüpel-Behörde auch noch mit 80.000 Mark gefördert wird.“ Ein Leserbirefschreiber im Weser Kurier fordert: „Muß der Begriff Kunst nicht klarer definiert werden, um der immer mehr ausufernden Experimentiertlust mancher Leute den richtigen Stellenwert zu geben?“
Das Ziel, nur eine „gelungene Provokation“ abzuliefern, lag den Künstlern selbst ohnedies fern, wie der Künstler Fritz Rahmann in einem Schreiben vom 13. November an Wegner erklärt. Er beklagt sich vielmehr über „dies brutale und schweigende Verhalten der Kulturbehörde“ gegenüber den irreführenden Vorwürfen. Auch Wegner bezeichnet das Stillschweigen des Kulturressorts als „Vandalismus von oben“: Niemand sei bisher bereit gewesen, „öffentlich Stellung zu beziehen zu diesem Projekt“. So habe die Behörde nicht den „konsequenten Schritt getan, als Kläger aufzutreten“ im Schilderstreit - weswegen die Sache beinahe als Privatangelegenheit Wegners abgeschmettert worden wäre. Umso weniger Verständnis hat Wegner für die neuerlichen Äußerungen der Senatorin: „Von Eskalation zu sprechen, ist Quatsch.“ Die Aufregung deute eher darauf hin, „daß bei Stellungnahmen aus der Öffentlichkeit im Ressort gleich ein Erklärungsnotstand ausbricht“.
Am Sonntag ging die Ausstellung zuende. Was bleibt, ist ein Film, eine Dokumentation - und viele Fragen und Vorwürfe, die in zwei Diskussionen in der „Galerie Grün“ zur Sprache kommen sollen.
tom
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