: Getroffene Hunde bellen
Olympia-Nachwehen: Von Schuldzuweisungen und Nichtangriffspakten ■ Aus Berlin Cornelia Heim
Wenn ein Kind stirbt, bettet man es trauernd zur letzten Ruh'. Bei Firmen gestaltet sich die Beerdigung weniger sakral, aber mitunter ebenso schmerzvoll. „Die meisten waren mit dem Herzen dabei“, sagt Reinhard Heitzmann. Der Berliner Olympia GmbH wird der Garaus gemacht: es ist ein langer Abschied, seitdem das Unternehmen in Monaco jäh verstarb.
Breite Straße, Berlin-Mitte: Durchnäßt hängen die Olympiafahnen im Novemberwind. Die fünf Ringe samt Berliner Bärchen haben ausgedient, in die Requisitenkammer dürfen sie erst am 31. 12. So lange laufen auch die Arbeitsverträge der 44 Mitarbeiter der Olympia GmbH. Dann macht die Firma dicht, die vor zweieinhalb Jahren aus der Taufe gehoben wurde. Nur einer bleibt übrig: Axel Nawrocki. Der wird mit den Aufräumarbeiten bis 31. März beschäftigt sein. Was ihm nicht allzu schwer fallen dürfte, schließlich hat der jährlich 300.000 Mark schwere Geschäftsführer als ehemaliger Treuhand-Manager Routine in der Abwicklung von Betrieben.
Reinhard Heitzmann sitzt im Ribbeckhaus und nippt an seinem Kaffeebecher. „Barcelona '92“ steht fett drauf. Zaghaft lächelt der Bär vom Notizpapier. Sein Erfolgserlebnis ist kleiner: Aber immerhin, das Maskottchen brachte Kohle, 2,5 Millionen Mark Umsatz. Die Souvenirshops haben seit September geschlossen. Die Lager sind leer. Restware wurde nach Kasachstan verschenkt. Nur am Flughafen Tegel können Sammler noch fündig werden.
Heitzmann hat zu tun. Er ist einer der wenigen, die im Hause noch arbeiten. Die meisten der 30 Büros sind verwaist. Seine KollegInnen machen Urlaub oder feiern Überstunden ab. Was bleibt? Den Nachlaß sortieren. Der Referent für Presse- und Öffentlichkeit feilt an der Dokumentation für Senat, Wissenschaft („aus der Bewerbung sind einige Promotionen entstanden“) und künftige Bewerber. Was er diesen mit auf den Weg geben könnte? „Machen Sie eine offene Informationspolitik!“ Wer jetzt an die geheimen Sex-Dossiers über IOC-Mitglieder denkt, ist unfair. Obwohl, auch Heitzmann gibt zu bedenken, ob man nicht eine größere Chance gehabt hätte, „hätten wir bei den Kosten mehr unter der Decke gehalten“.
Hätte, wäre, wenn – vorbei. Keine Angst, auch Verlierer müssen nicht um ihre berufliche Zukunft bangen. Die Beurlaubten hatten den Rückfahrschein ohnehin in der Tasche – Pressesprecher Christian Fürstenwerth macht wieder Radio bei Rias. Andere fahren westwärts: Harald von Seltsam wird ab 1995 in Atlanta die Paralympics organisieren. Und sonst? Bimmelt das Telefon. Am Apparat: Headhunter. Heitzmann: „Wir sind begehrt.“ Trotz Niederlage. Schließlich habe man ein schwieriges Produkt gemanagt, und Produktmanagement sei gefragt.
Über die Form jenes Managements läßt sich trefflich streiten. Was er davon hält, verrät Manfred von Richthofen nach ein paar Täßchen Kaffee: Nicht allzuviel. „Ungeschickt“ seien die Berliner in Monaco aufgetreten, zum Teil auch „recht anmaßend gegenüber dem organisierten Sport“, rügt der 59jährige Vizepräsident des Deutschen Sport-Bundes (DSB). Nein, auch der Neffe des „Roten Barons“ wird sich hüten, schwarze Schafe beim Namen zu nennen. Nichtangriffspakt als Gentlemen's Agreement, wir wissen schon. Dafür erzählt Richthofen viele schöne Geschichten: Hans Hansen, „immerhin der höchste Mann im deutschen Sport“, schwergewichtig und schlecht zu Fuße, habe man bei der Schlußzeremonie im Palais d'Omnisport, so, wie es sich gehört, ein Plätzchen in der ersten Reihe angewiesen. Doch als er ordnungsgemäß Platz nehmen wollte, war alles besetzt von – na? wir ahnen es schon – Mitarbeitern der GmbH, die dem Präses auch noch lakonisch beschieden, er möge doch bitte schön weiter hinten Platz nehmen. Richthofen rührt den Kaffeelöffel schwindlig: „Stellen Sie sich vor, wir hätten gewonnen, und der Präsident sitzt irgendwo zwischen den Anhängern von Manchester!“ Nein, so optimal sei alles nicht gelaufen.
Den Sport hätten diese Manager von Olympia-Gnaden nicht so recht eingebunden. Ihn selbst habe man aus der Akkreditierungsliste gestrichen, so daß vor Ort die geballte polyglotte Überzeugungskraft von Hansen vonnöten war, damit dessen Vize nicht wieder unverrichteter Dinge nach Hause fliegen mußte. Manfred von Richthofen: „Wieso wurden denn deutsche Spitzenfunktionäre, die in internationalen Fachverbänden sitzen, nicht mobilisiert?“ Man könne sich doch nicht auf die Herren Tröger und Bach, beide erst seit kurzem Mitglied im IOC und daher ohne große Lobby, allein verlassen! Das wiederum mag Heitzmann im Ribbeckhaus nicht gerne hören, sauer stellt er seinen Barcelona-Kaffeebecher außer Reichweite: „Sagen Sie mir, wo sind die denn, unsere vielgerühmten Funktionäre? Es gibt sie nicht, nicht viele!“ Sorry, Herr Heitzmann, hier irrt die GmbH noch auf ihrem Sterbebett. 33 gibt es – allein in den olympischen Sportarten. Verrät eine Liste, die der DSB im September 1992 erstellte und einem gerne auf Anfrage zufaxt.
Dabeisein ist alles. Für die beiden deutschen Herren der Ringe dürfte der entsagungsvolle olympische Gedanke angesichts der Prügel etwas gelitten haben. „Maßlos enttäuscht“ war Walther Tröger, der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK). „Wie sie alle über uns hergefallen sind!“ Ausgehungerten Raubtieren gleich, die endlich – trotz Nichtangriffspakt – Beute witterten. Darunter auch Daimler-Benz- Sprecher Matthias Kleinert, der die Bedeutung der beiden deutschen IOC-Mitglieder sanft in Frage zu stellen wagte (Stuttgarter Zeitung). Gemach, gemach! Bekanntlich bellen getroffene Hunde nur. Und so bellt Walther Tröger zurück: Alles nur Ablenkungsmanöver, sagt er. Und: Kleinert tue ihm damit überhaupt nicht weh. „Der hat doch genug eigene Probleme, sein gescheitertes Engagement in seinem eigenen Laden zu rechtfertigen.“ Wuff. Wie geht's weiter? Gott sei Dank gibt es so etwas Segnungsreiches wie Kommissionen. Eine solche hat der DSB ins Leben gerufen. Die soll klären, wie tief das Ansehen des deutschen Sports wirklich gesunken ist. Reinhard Heitzmann hat bald Feierabend. Für ihn ist das Kapitel Berlin 2000 abgeschlossen. Sein Fazit: „Vielleicht hatten nicht nur die Bürger andere Sorgen als Olympia, sondern waren auch die Stadt und die handelnden Personen damit überfordert.“
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