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Charms im Schauspielhaus

Dicht behängte Wäscheleinen versperren die Sicht auf die Bühne der Kantine des Schauspielhauses. Man befindet sich mitten in der Wohnstube des russischen Schriftstellers Daniil Charms. Seine Frau, gespielt von Anne Bennent, entfernt die Wäsche. Charms, dargestellt von Jewgenij Sitochin, dem Prologus aus Leander Haußmanns Troilus und Cressida-Inszenierung, betritt die Bühne, auf der ein Tisch und ein Klavier steht.

Für eineinviertel Stunden entführte Sitochin die Zuschauer in der vollbesetzten Kantine in die Welt des russischen Schriftsstellers. Anhand von Charms Texten (in der Übersetzung von Peter Urban, Andrea Gotzes und Ilse Tschörtner) wurde versucht, sein Leben nachzuzeichnen. Innerhalb der Randdaten - er wurde 1905 in St. Petersburg geboren wurde und starb wahrscheinlich während der deutschen Blockade von Leningrad 1942 - ist darüber allerdings nicht allzuviel bekannt. Aus seiner aktiven Anfangsphase mit der Avantgarde-Gruppe Oberiu und seiner heimlichen Produktion unter Stalin (wo er sich mehr schlecht als recht als Kinderbuchautor durchschlug) entstand ein dünnes Werk, dessen enorme Bedeutung erst in den letzten Jahren entdeckt wurde.

Die Ebene der Sublimität schnell erreichend, vielleicht nur als Optische Täuschung, wie es der Titel der Aufführung versprach, gelingt es Sitochin – teils mit einem Anflug von Clownerie – die Absurdität der Dramoletten Charms und deren vor Sarkasmus triefende Pointen, treffsicher in Szene zu setzen. Es war ob der scheinbaren Sinnentleerung kein Lachen, das dem Zuschauenden im Halse stecken bleiben mußte. Es mußte einfach heraus; auch der sechste tödliche Fenstersturz war kein Grund zu falsch angesetzter allgemeiner Betroffenheit.

Das szenische Projekt verschaffte eine eindrucksvolle Einführung in Charms Biografie, bei der die darstellerische Leistung der beiden Akteure fesselnd war. kader

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