: Was die Urgroßmütter rührte...
■ „Schwarzer Traum und weiße Sklavin“: Retrospektive deutsch-dänischer Filmbeziehungen
„Nicht mehr zu übertreffende Schauspielkunst“ attestierte das Berliner Tageblatt 1923 der Schauspielerin Asta Nielsen in dem Film Der Absturz, einem Drama über den Fall einer Bühnenschönheit. Der Absturz findet nun noch einmal den Weg ins Kino im Rahmen der Retrospektive Schwarzer Traum und weiße Sklavin, die den 6. Filmhistorischen Kongress vom 18. bis 21. November begleitet. Organisiert wird der Kongress vom Hamburgischen Centrum für Filmforschung-Cinegraph zusammen mit dem Hamburger Filmbüro und dem Bundesfilmarchiv in Berlin.
Während sich Fachleute aus verschiedenen Ländern in diesen Tagen über die deutsch-dänischen Filmbeziehungen von 1910 bis 1930 befassen, hat die Öffentlichkeit im Metropolis die Gelegenheit, 17 Stummfilme zu sehen, die den Urgroßmüttern die Tränen in die Augen trieben, und deren Titel allein schon ein Höchstmaß an Rührung versprechen: Tragödie im Zirkus Royal (1927/28), Sein letzter Seitensprung (1918) Die Sumpfblume (1913) oder Die Flucht vor der Liebe (1915).
Als Der Absturz entstand, befand sich die junge dänische Filmindustrie nach großen Erfolgen bereits auf leicht abschüssiger Strecke. Während in Deutschland der Kinematograph von Investoren noch skeptisch beäugt wurde und die Zensur strenger zuschlug, hatte man in Dänemark die Filmproduktion als lohnende Kapitalanlage früh erkannt. 1912 waren in der dänische Filmindustrie 1.700 Menschen beschäftigt, die 1906 gegründete Nordisk Film Compagni, die damals größte dänische Filmgesellschaft, besaß 1913 in Deutschland 35 Premierentheater, 1914 wurden 125 Filme in Kopenhagen produziert, aber 1920 nur noch acht. Die Stars wanderten ab, Asta Nielsen ging nach Deutschland und Theodore Dreyer nach Hollywood. Zur bedeutendsten dänischen Filmgesellschaft entwickelte sich in den Zwanziger Jahren Palladium, die mit Pat und Patachon eines der unsterblichen komischen Paare der Filmgeschichte schufen.
Kopenhagen - ein frühes Hollywood? Der Titel der Retrospektive „Schwarzer Traum und weiße Sklavin“ deutet darauf hin: Mit den Sensationsdramen Die weiße Sklavin (1906) und Die zweite Sklavin II (1911) traf die Nordisk genau den damaligen Publikumsgeschmack und ebnete sich den Weg zum Erfolg. „Sozial“ wurde zum gebräuchlichsten Beiwort in den Kinoreklamen, schrieb 1914 eine Kulturkritikerin, und auch das Thema Sklavenhandel wurde in weiteren Dramen um verschleppte unschuldige Schönheiten reichlich abgefrühstückt.
Auch zeigt die Retrospektive die ersten Versuche von Literaturverfilmungen wie Atlantis (1913) nach einem Roman von Gerhart Hauptmann, Weltbrand. Christian Wahnschaffel (1920) nach dem Roman von Jakob Wassermann und Die Insel der Verschollenen (1921) nach dem Roman von H.G.Wells. „Je höher das poetische Kunstwerk dasteht, um so weniger läßt es sich verfilmen“, befand der Kritiker von Atlantis 1913 im Berliner Tageblatt. jk
Metropolis, Infos: 342353
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