: Aliens niedliche Vorfahren
■ Erneut im Kino: „Eraserhead“, der erste große Film von David Lynch
Endlich kann man sie wieder im Kino bewundern: die berühmteste Frisur der Filmgeschichte. Nur die Haarspeichen von Frankensteins Braut könnten dem absurden Gestrüpp auf Henrys Kopf diesen Titel vielleicht noch streitig machen; wie frisch nach einer Sitzung auf dem elektrischen Stuhl stehen dem Helden von David Lynchs ersten Spielfilm permanent die Haare zu Berge.
Auf seinem Gesicht spiegeln sich ebenso wunderbar Verwirrung, Trauer und Schock, während er nach der Logik der Träume von einer surrealen Katastrophe in die nächste stolpert. Gebratene Hähnchen bewegen plötzlich auf dem Eßteller ihre Schenkel und beginnen zu bluten; im Bett zieht Henry Nabelschnüre aus seiner Frau heraus, und sein abgeschlagener Kopf wird in einer Bleistiftfabrik zu Radiergummis (Eraserheads) verarbeitet.
Mit seiner konsequenten Irrationalität und den sehr kunstvoll arrangierten Schwarzweißbildern erinnert der Film noch am ehesten an Buñuels „Andalusischen Hund“ oder Cocteaus „Blut eines Dichters“. Aber die Mischung aus Ekel, Schönheit, makabrem Humor und Science Fiction scheint direkt aus dem Unterbewußtsein Lynchs zu kommen. Er war als Regisseur, Drehbuchschreiber, Ausstatter, Cutter und Schöpfer der unbeschreiblichen Spezialeffekte tatsächlich der alleinregierende Autor dieses Filmes.
Während Henry von seinen zukünftigen Schwiegereltern zur Heirat gedrängt wird, weil seine Freundin ein Kind von ihm entbunden hat, ruft diese „Mama! Es ist noch gar nicht sicher, ob es überhaupt ein Baby ist“. Man ist als vorgewarnt, und diese seltsame Ausgeburt von Lynchs Fantasie entpuppt sich dann neben Henry als der zweite Star des Films.
Lynch hat sich immer geweigert zu erklären, wie er dieses glitschige Monster konstruiert hat. Robert Fischer spekuliert sicher nicht unbegründet, daß Lynch „angesichts des ohnehin lächerlichen Etats für die Spezialeffekte weniger einen Eisenwarenladen als ein Metzgergeschäft geplündert hat.“ Dabei wirkt dieses Wesen zutiefst überzeugend und verunsichernd. Das Monster aus „Alien“ ist eindeutig ein Nachkomme von Lynchs „Baby“.
Wenn man „Eraserhead“ heute sieht, fallen die vielen Paralellen zu seinen späteren Filmen auf: Die Einrichtung und Beleuchtung von Henrys Hotelzimmer ist fast identisch mit Isabella Rossellinis Wohnung in „Blue Velvet“. Wenn die pausbäckige Sängerin, die dem Henry hinter einem Heizkörper erscheint, ein Lied darüber singt, wie schön es im Himmel ist, erinnert dies an das ironisch, kitschige Ende von „Wild at Heart“ und auch die Traumsequenzen in „Twin Peaks“ sind nur Variationen von Szenen aus „Eraserhead“ (mit ganz ähnlichen schweren Vorhängen und gemusterten Fußböden).
Man kann sich durchaus darüber streiten, ob Lynchs erster Film über die männliche Angst vor Sexualität, Ehe und Vaterschaft nicht auch sein bisher bester geblieben ist. So kompromißlos hat er seine Obsessionen und Visionen nie wieder auf die Leinwand gebracht.
Wilfried Hippen
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