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Fischer fing Angler

Chang schlug Courier: Ansonsten gähnende Langeweile bei der Tennis-WM  ■ Aus Frankfurt Klaus-Peter Klingelschmitt

„Going fishing“ ist eine der Lieblingsbeschäftigungen von Jim Courier aus Dade City in Florida/ USA. Mit Fischen beschäftigt sich auch Michael Chang aus Henderson in Nevada/USA. Doch während Courier die Viecher am liebsten am Haken hat, widmet sich Chang, der „Christ aus Überzeugung“ (Chang) ist, der Aufzucht und Pflege seiner unikaten geschuppten Lieblinge aus einem See in Afrika. Bissige Hechte im Karpfenteich sind sie allemal, die acht weltbesten Tennisspieler, die seit Dienstag in Frankfurt/Main die Weltmeisterschaft der Association of Tennis Professionals (ATP) unter sich ausspielen, denn die „Exoten“ blieben draußen vor der Tür: Andre Agassi und Boris Becker, die nonkonformistischen Publikumslieblinge und gefeierten Winner der ATP-Crown vergangener Jahre, schafften diesmal den Sprung unter die „Big Eight“ nicht.

Zum Auftakt des Turniers hatte allerdings Fischfreund Chang den passionierten Angler Courier am Haken – und die erste große Überraschung war perfekt. Wie ein asiatischer Kampffisch biß sich Chang durch das Match und kaufte so dem als cool geltenden Courier den Schneid ab. Im ersten Satz hatte Chang seinen knapp zwanzig Zentimeter größeren Gegner gebreakt (6:4). Und im zweiten Durchgang warf Courier dann (fast) kampflos das schweißnasse Handtuch. Selbst die einfachsten Spielzüge gerieten ihm zum Fiasko. Da nutzte es auch nichts mehr, daß das faire Publikum in der Festhalle, das zunächst den Außenseiter Chang anfeuerte, nach einem deprimierenden 0:3 Rückstand von Courier im zweiten Satz dann den rotblonden Riesen mit Beifall überschüttete.

Chang triumphierte mit 6:0 gegen Courier. Sein erster Sieg bei einer ATP-Weltmeisterschaft. Und Chang will mehr: „Ich werde auf keinen Fall zufrieden damit sein, ein Match gewonnen zu haben. Hier in Frankfurt geht es um eine Handvoll Matches.“

Um mehr als eine „Handvoll Dollars“ – Preisgeld insgesamt 2.750.000 US-Dollar – ging es auch im zweiten Match des Tages. Michael Stich aus der Kölln-Haferflockenstadt Elmshorn, der bei einer ATP-Weltmeisterschaft bislang noch keinen Satz gewonnen hatte, schlug den sich selbst als „Russen“ bezeichnenden Ukrainer Andrej Medwedew aus Karlsruhe/Baden klar in zwei Sätzen (6:4 und 6:3). Der Beifall der Fans für Stich hielt sich auch diesmal in Grenzen – weil das Match grenzenlos langweilig war. Und auf der obligatorischen Pressekonferenz nach dem Spiel gestand Medwedew ein, daß er sich als unbeteiligter Beobachter „wahrscheinlich auch gelangweilt“ hätte: „Als Zuschauer vor dem Fernseher wäre ich vielleicht eingeschlafen.“ Mit dem Handtuch von „Milchschnitte“ – mit den wertvollen Haferflocken (aus Elmshorn) im Kekskern – über der Schulter, gab sich der sensible Stich mit dem Boris-Becker-Trauma nach dem Spiel philosophisch: „Es ist immer besser zu gewinnen als zu verlieren.“

Langweilig war auch das dritte Match am Eröffnungstag. In nur knapp einer Stunde hatte der Schwede Stefan Edberg den Katalanen Sergi Bruguera mit 6:2 und 6:4 abgefertigt: Serve and Volley. Und weil das von den spannenden Matches vergangener Jahre verwöhnte Publikum in Frankfurt gegen 23 Uhr kollektiv zu gähnen begann, machten sich die ATP-Tour- Verantwortlichen in der Presselounge so ihre Gedanken: „Cheer- Leaders“ sollten demnächst die Zuschauer Innen nach gewonnenen Punkten mit spitzen Begeisterungsschreien aus dem Halbschlaf reißen – ein Vorschlag, der Turnierfavorit Pete Sampras die schwarzen Harre senkrecht zu Berge stehen ließ: „Wir sind doch nicht beim Baseball.“ Sampras war jedenfalls froh, in der Vorrunde nicht in der Fisch- und Haferflockengruppe spielen zu müssen. Denn der Schwarm aller Schwiegermütter aus Tampa in Florida/ USA litt bei den US-Open 1993 an einer Fischvergiftung.

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