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Nimm die Sonnenbrille ab

Zwischen Golem und Robocop: Gespräch mit Johann Feindt, dem Kameramann von „Beruf Neonazi“  ■ Von Mariam Niroumand

taz: Wie filmt man Neonazis?

Johann Feindt: Das Thema hat mich als Dokumentaristen interessiert; Neonazismus ist von Anfang an ein Medienthema gewesen: Mitunter werden deren Aktionen doch regelrecht gepusht. Dann wurden nach Hoyerswerder und Rostock die Aktivisten immer als die ganz Anderen porträtiert, mit denen wir nichts zu tun haben ... Das mag politisch richtig sein, aber die Wahrheit ist doch wohl eher, daß uns da ein Spiegel vorgehalten wird. Dieser Typ könnte genauso Werbekaufmann sein.

Der Neonazi, ein Mensch wie du und ich?

Nein, eher eine Richtigstellung: Zu Neonazi fallen einem doch diese Typen mit Bomberjacke, Glatze und zerbeulter Nase ein, die kaum einen Satz geradeaus sprechen können. Viel interessanter ist doch aber die andere Seite: Wer zieht die Drähte, und wie macht man das?

Unter den verschiedenen Möglichkeiten, Neonazis zu filmen – mit der Handkamera, wie im Horrorfilm, oder verkleinernd haben Sie sich für ersteres entschieden ...

Der Film besteht zum großen Teil aus relativ weitwinkligen Aufnahmen oder Nahaufnahmen mit einem großen Teleobjektiv, so daß man nur Teile des Gesichtes sieht, Ausschnitte von Grimassen, seiner Mimik, so daß da kein Entweichen ist.

Etwa achtzig Prozent sind mit der Handkamera gefilmt. Vieles ist einfach durch meine Körpergröße beeinflußt; ich habe immer eine Untersicht, auch wenn ich mit normalen Menschen zu tun habe. Ich fand Althans' Größe einfach unglaublich.

Sie haben auch „Der schwarze Kasten“ gedreht, ein Film über einen Stasi-Mann, der über seine Arbeit nachdenkt. Wie war Ihr Verhältnis zu diesem Protagonisten im Vergleich zu Althans? Ich erinnere mich, daß er hauptsächlich sitzend gefilmt wurde, während Althans ständig läuft oder sonstwie in Aktion ist.

Es ging damals um einen Disput zwischen der Filmemacherin und dem Protagonisten über ethische Fragen, darum, welche Verantwortung ein Individuum vor der Geschichte hat. Aber das stimmt schon: bis auf die wenigen Szenen, die ihn an seinem Arbeitsplatz zeigen oder wenn er seine alte Uniform anzieht, ging es mehr um die intellektuelle Auseinandersetzung. Im Gegensatz dazu ist „Beruf Neonazi“ tatsächlich sehr viel bewegter und schneller, das hängt aber auch mit dem Schnitt zusammen. Die Atemlosigkeit, die da entsteht, spiegelt das Gefühl, das Althans in einem auslöst: der hält einen wirklich in Atem. Diese unglaubliche Kühle, die Schnoddrigkeit und Zielbewußtheit, die nichts kennt. Diese Szene in Auschwitz ...

Möchte man da nicht die Kamera fallen lassen und dem Mann eins in die Fresse hauen?

Ich? Nein. Das ist außerhalb der Professionalität. Wenn man dreht, gibt es nur die Frage, was machst du mit? Wenn man das nicht gedreht hätte, verschweigt man etwas. Wir sind mit ihm dahin gefahren, weil er früher selber bei der Aktion Sühnezeichen Gräber gepflegt hat. Natürlich haben wir uns gefragt: Was machen wir da mit ihm? Meine einzige Antwort war: Wir sollten es darauf ankommen lassen, mal sehen, was passiert.

Er hatte einen Mikroport umhängen und war plötzlich verschwunden, bis schließlich der Tonmann sagte: „Der macht da irgendwas, agitiert irgendwelche Leute.“ Dann sind wir dahin und kamen zu der Szene dazu; das endete eben schließlich mit dem Ausschalten, da war zappenduster.

Die Szene erzeugt eine gewisse Hilflosigkeit: Wenn er in der Gaskammer steht und einem Besucher erklärt, daß Zyklon B chemisch so und so reagiert, oder daß man die Türen nicht schließen kann, bleibt einem nichts, als sich entweder die „Beweislast“ zuschieben zu lassen und ihm damit entgegenzukommen, oder mit moralischer Entrüstung zu reagieren, wie der junge amerikanische Jude, der sich vor der Kamera zum Hanswurst macht. Die Szene gehört Althans.

Was ich an der Szene interessant fand, war, daß von 30 Leuten, die da unten waren, 28 nur zuhören wie die Kälber, einer sagt „Hören Sie doch auf!“ und geht hinaus, als Althans nicht aufhört. Und einer – der dann auch noch Ausländer ist –, nur einer bietet ihm Kontra. Ich finde den sehr mutig, gerade in seiner Hilflosigkeit, vor allem in den Moment, wo er Althans auffordert: „Nimm die Sonnenbrille ab!“

Was haben Sie an ihm entdeckt?

In seiner Rede greift er Oberflächenphänomene auf, zum Beispiel, daß Parlamentarier sich ganz gut einzudecken wissen (lacht). Dann spricht er die Anwesenden als die deutsche Jugend an, die als einzige Hoffnung bleibt. Dann rezitiert er dieses entsetzliche Gedicht, dann schweigen die Leute einen Moment, und schließlich bricht der Saal in tosenden Beifall aus.

Seine Souveränität ist aber irgendwie hohl, vordergründig. Er ist sehr eloquent, sehr gewitzt nimmt er Argumente des Gegners auf, aber ich spüre keine Persönlichkeit dahinter, und so ist er auch gedreht: Wenn man diesen Schrank sieht, hat man immer das Gefühl, der hat immer noch diesen Bügel im Nacken ...

Deshalb auch Weitwinkel, man stellt ihn als so einen Kegel dar ...

Zum Teil, ja. Auch diese Aufnahme von unten. Dieser eigenartige Körper mit den nach oben zulaufenden und fast umkippenden Wolkenkratzern als Schultern, und dann oben drauf der kleine Kopf, der wie so eine Krähe darauf herumtanzt ...

Ein bißchen Robocop, ein bißchen Golem?

Es hat tatsächlich etwas von einem Roboter, jedenfalls ist das der Effekt, der sich für mich einstellte. Mit meiner Bewegungsform hat das nichts mehr zu tun.

Habt ihr euch am Action-Genre orientiert?

Es mag da gewisse Ähnlichkeiten geben, aber einen Schwarzenegger wird man nie so verzerrt sehen. Den sieht man im Film nie von einem weggehen, der kommt immer schwer auf einen zu. Wir lassen Althans häufig an der Kamera vorbeilaufen, und in der einen Szene, wo er auf die Kamera zukommt, haben wir mit langer Brennweite gedreht, so daß man die normalen Menschen sieht und dann diesen weißen Kopf, der da oben drauf herumgeistert (lacht). Dann wieder gab es Szenen wie die Versammlung in Cottbus, wo plötzlich völlige Stille einkehrt, wenn Althans spricht. Ich habe versucht, das abzubilden, andererseits aber auch unterschiedliche Brennweiten zu benutzen, so daß man ihn sowohl von unten sieht, mächtig, als auch vor diesen Plakaten als einen kleinen Fuzzy, der bezeichnenderweise immer mit seinem kleinen Finger fuchtelt ...

Sie meinen, das hat so etwas Tuntiges?

So ein bißchen. (lacht) So wie die Kleinbürger die Kaffeetasse hochheben.

Warum kommt eigentlich in dem Film nicht vor, daß Althans schwul ist?

Davon habe ich gehört, aber das wußte ich nicht.

Der alte Zündel, der den jungen Althans aufbaut – so ein bißchen entsteht da ein Verhältnis wie zwischen Homunculus und Erfinder, Hugenberg und Hitler, Gottvater und Sohn. Euer Film hat durch den Aufbau – am Anfang Zündel vor den Schaltpulten, am Ende Althans in München – einen ganz bestimmten dramatischen Aufbau. In Kombination mit der Darstellung von Althans als ständig in Bewegung befindlichem, aber gleichzeitig hohlem Übermenschen hinterläßt der Film ein Gefühl der Überrumpelung, man sucht nach der Zauberformel, die diesen Golem stoppen kann ...

Der erste Dokumentarfilm hat gezeigt, wie ein Zug in den Bahnhof einfährt. Seither hat er sich in Sphären hineingewagt, die traditionellerweise dem Spielfilm vorbehalten sind: Emotionen, moralische Position eines Helden und so weiter. Wenn man keinen Gegenhelden hat – wie jetzt in diesem Fall –, der gegen die Althans aufzustehen versucht, muß man sich fragen, ob es etwas bringt, die eigene Position mit Schrifttafeln über die Wannsee-Konferenz einzufügen, oder mit Zeugenaussagen von jemandem, der eigentlich gar nichts damit zu tun hat, und der dann erzählt, daß seine ganze Familie ... und so weiter, dann wird es eben didaktisch. Im Spielfilm kann man all das einbauen in die Handlung, da kann man mit Körperbewegungen ganz andere Sachen einbauen. Man muß also eine Sprache für den Dokumentarfilm entwickeln, die zugleich den subjektiven Faktor des Filmemachers einbaut und auf den Zeigefinger verzichtet. Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

„Beruf Neonazi“. Buch und Regie: Winfried Bonengel. Kamera: Johann Feindt. BRD 1993, 83 Min.

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