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Kaschmir: Beim Barte des Propheten!

Die Besetzer der Moschee von Srinagar gaben nach 32 Tagen auf / Indische Militärs fürchteten um ein darin aufbewahrtes Barthaar Mohammeds und belagerten das Gebäude  ■ Aus Neu-Delhi Bernard Imhasly

Die Besetzung der Hazratbal- Moschee von Srinagar ist am Dienstag zu Ende gegangen: Die rund sechzig muslimischen Untergrundkämpfer, die sich während 32 Tagen in ihr verschanzt hatten, verließen die Moschee mit ihren Waffen und ergaben sich der indischen Armee. Somit konnten auch jene Zivilisten die Moschee verlassen, die sich am 14. Oktober zufällig darin befunden hatten. An diesem Tag hatte die Armee ohne Vorwarnung den Komplex mit mehreren tausend Soldaten umstellt. Trotz der Aufgabe der Besetzer blieb die Ausgangssperre in den Stadtvierteln um die Moschee weiter in Kraft. Erneut rief die „Kaschmir-Freiheits-Konferenz“, ein Zusammenschluß von Gruppierungen, die gegen die indische Vorherrschaft in Kaschmir kämpfen, zu einem Generalstreik auf.

Die Kapitulation der Besetzer ist das Ergebnis ausgedehnter Verhandlungen zwischen beiden Seiten, über die vorläufig noch keine Details bekannt sind. Aber es scheint, daß die Armee kaum von ihrer Forderung nach „bedingungsloser Aufgabe“ abgerückt ist.

Beobachter in Delhi nehmen an, daß die Entscheidung zur Absperrung der Moschee von einem Offizier niederen Ranges gefällt worden war. Während eines Patrouillengangs habe er die Information erhalten, daß bewaffnete Untergrundkämpfer sich eines in der Moschee aufbewahrten Barthaars des islamischen Propheten Mohammed bemächtigen wollten. Bereits 1964 hatte das zeitweilige Verschwinden dieser Reliquie zu blutigen Unruhen geführt.

In der Bürgerkriegsatmosphäre Srinagars wurde die Belagerung sofort zu einem explosiven Politikum. Das zeitliche Zusammenfallen mit anderen Ereignissen im Subkontinent – die Amtsübernahme von Benazir Bhutto in Pakistan und Landtagswahlen in Indien – heizte zudem die Spannung an. Die Eingeschlossenen versuchten dies auszunützen, indem sie die Belagerung von den Minaretten der Moschee herab als Angriff auf einen muslimischen Gebetsort anprangerten. Dies wiederum zwang die indische Regierung, sich als Hüterin der religiösen Stätte zu profilieren.

Bis zuletzt ließ sich Premierminister Narasimha Rao, der die Koordination der gesamten Aktion schon früh in die Hände nahm, nicht zur Stürmung der Moschee provozieren. So kam ihm diesmal sein schon sprichwörtliches Zaudern zugute, und er ließ sich auf langwierige Verhandlungen ein. Diese beinhalteten zwar auch die Übergabe von kaschmirischen Reisgerichten, in der Sache blieb die Regierung jedoch unnachsichtig. Und obwohl die nationalistische BJP die Versorgung der Besetzer mit Lebensmitteln als „Nahrung für die Terroristen“ anprangerte, hielt die Regierung auch dem Druck dieser Seite stand. Aus der Kraftprobe geht sie als Siegerin nach Punkten hervor. Das friedliche Ende der Besetzung könnte ihr bereits bei den derzeit stattfindenden Regionalwahlen Auftrieb geben.

Der Konflikt hatte jedoch auch den internationalen Druck auf Indien verstärkt. Pakistan versucht, bei der UNO die Entsendung einer Menschenrechtskommission durchzusetzen.

Die Hazratbal-Affäre hat der internationalen Öffentlichkeit schlaglichtartig die Konzeptionslosigkeit der Kaschmir-Politik Delhis gezeigt. Angesichts einer immer populäreren und gewaltsameren Sezessionsbewegung, die von Pakistan offen unterstützt wird, hat Indien bisher den schmalen Pfad zwischen einer brutalen Repression und einem Dialog über die Zukunft des Teilstaats nicht gefunden.

Der einzige Lichtblick in der Affäre ist die Entstehung einer politischen Plattform kaschmirischer Politiker. Sie hatten sich unter dem Namen „Hurriyat“ in die Verhandlungen eingeschaltet und beschert der Regierung vielleicht endlich einen Ansprechpartner, den sie unter den militanten Gruppierungen bisher vergeblich gesucht hat.

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