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Südafrikas Demokratiepakt

Frohe Botschaft vom Kap der Guten Hoffnung: Noch-Präsident de Klerk, Bald-Präsident Mandela und 19 andere Konferenz- teilnehmer votierten gestern für eine Verfassung, die den Schwarzen dieselben politischen Rechte einräumt wie den Weißen.

Mit dem gestrigen Abschluß der Demokratieverhandlungen in Johannesburg geht die erste Phase der südafrikanischen Evolution zu Ende. Vorbei das Tauziehen zwischen einer alleinregierenden weißen Minderheitsmacht und der größtenteils schwarzen Opposition; vorbei das „alte Südafrika“, in dem sich weiße Staatsmacht und schwarze Volksmacht gegenüberstanden. Der Rahmen für ein demokratisches Südafrika ist geschaffen. Nun muß dieser Rahmen ausgefüllt werden. Die Zeit des Aufbaus beginnt. Wird Südafrika damit „normal“, ein fernes Entwicklungsland mit den bekannten Dritte- Welt-Problemen? Südafrika ist ein im afrikanischen Vergleich reiches Land, dessen Reichtum allerdings bei einer schmalen, ethnisch definierten Elite konzentriert ist. Um die Umverteilung dieses Reichtums geht es jetzt. Zur Zeit genießen Südafrikas Weiße in der Mehrzahl noch immer allein die Vorzüge eines auf ihren exlusiven Vorteil ausgerichteten Gesellschaftssystems, während die Mehrheit der Schwarzen täglich ums Überleben kämpft. Wie kann man die wirtschaftliche Ungleichheit aufrechterhalten, wenn die politische Ungleichheit durch allgemeines Wahlrecht beseitigt worden ist? Es wird eine vom ANC geführte Regierung sein, die sich nach den Wahlen vom 27. April 1994 dieser Frage stellen muß. Meinungsumfragen geben ihm um die 65 Prozent der Stimmen, während der heute regierenden Nationalpartei mit 13 Prozent droht, hinter die mit Inkatha in der „Freiheitsallianz“ verbündete Rechte zurückzufallen.

Und die wirtschaftlichen Bedingungen sind so günstig wie lange nicht mehr: Das Bruttosozialprodukt wächst inzwischen mit einer Jahresrate von 8,2 Prozent – soviel wie zuletzt Anfang 1984. Die tiefe Rezession der letzten Jahre ist vorbei. Eine von 30 großen Firmen unterstützte Beratergruppe, deren Programm „Platform For Investment II“ zur Zeit in Südafrika vorgestellt wird, hält denn auch ein „Wiederaufbauprogramm“ in Höhe von 9,5 Prozent des Bruttosozialprodukts – das wären 33,5 Milliarden Rand (16,7 Milliarden Mark) pro Jahr – für „bezahlbar im Kontext gegenwärtiger und zukünftiger Ressourcen“. Es könnten damit jedes Jahr 800.000 Arbeitsplätze entstehen, vor allem im Kleingewerbe, aber auch im Wohnungsbau und im Sozialbereich.

Doch wirtschaftliche Rahmendaten allein reichen nicht. Investitionsprogramme können nur funktionieren, wenn sie nicht als Vehikel zur Wahrung von Privilegien begriffen werden, sondern wenn vor Ort eine demokratische politische Struktur mit dem Willen zur Veränderung besteht. In den großen Städten, wo das Zusammenleben enger und die Einsetzung nicht- rassischer Lokalverwaltungen nur noch eine Frage von Monaten ist, mag dies relativ schnell gehen. Aber: „Der Schlüssel liegt in den ländlichen Gebieten“, wie Sue de Villiers, ANC-Pressebeauftragte in Kapstadt, sagt. „Und dort ändert sich alles nur sehr langsam.“ Um die zweite Phase des Wandels zu schaffen, muß Südafrika „One Nation“ werden, zum Teilen bereit. Wie weit das dafür nötige gegenseitige Vertrauen noch entfernt ist, zeigt eine letzten Sonntag veröffentlichte große Umfrage unter Schwarzen und Weißen: 75 Prozent der befragten Weißen glauben, die Schwarzen wollten die Macht für sich allein, 75 Prozent der befragten Schwarzen denken dasselbe von den Weißen. Die Schwarzen halten Südafrika mehrheitlich für das drittreichste Land der Welt, nach den USA und Japan. 80 Prozent wollen kostenlos wohnen, 90 Prozent kostenlose Ausbildung. Nur 25 Prozent halten Steuernzahlen für eine „gute Idee“.

In weißen Augen ist Südafrika „eher arm“, Sozialprogramme kann es sich nicht leisten, und eine neue Regierung wird das Land noch ärmer machen. „Wir können hier auf keinen Fall ein Wiedervereinigungsprojekt nach deutschem Muster durchziehen“, faßt der Kapstädter Journalist Anthony Johnson die weiße Sicht zusammen. „Unser Ostdeutschland ist 80 Prozent der Bevölkerung, nicht 20, und viel ärmer als eures.“ So zeichnet sich ab, daß der anstehende soziale Verteilungskampf erst einmal entlang der bestehenden Schwarz- Weiß-Linien ausgetragen wird. Die schwarzen Wähler des ANC erwarten eine rasche Verbesserung ihrer Lebensumstände, während Weiße vorrangig Besitzstandswahrung betreiben. „Bei uns“, sagt ein Touristikunternehmer, „treffen sich drei Welten: die Erste, die Zweite und die Dritte Welt. Wir wollen die Erste Welt erhalten. Das ist unser Lebensstil.“

Will der African National Congress seiner Rolle als Zentrumspartei gerecht werden, muß er dennoch versuchen, schwarze und weiße Interessen gleichermaßen anzuerkennen. Das fällt ihm nicht leicht. Sein Wahlkampf läuft bereits zweigleisig – aber mit unterschiedlichem Enthusiasmus. Auf den öffentlichen Versammlungen, zu denen vor allem Schwarze gehen, sind Brandreden gegen die weiße Macht zu hören. In den von Weißen gelesenen Zeitungen werden dagegen Anzeigen plaziert, die hauptsächlich aus einem vom Leser zurückzusendenden Coupon mit dem Anfang „Mr. Mandela, meine größte Sorge ist...“ bestehen. Die regierende Nationalpartei warb jetzt ausgerechnet in der schwarzen Sonntagszeitung City Press für sich mit einer ausgefüllten Version des Coupons. „Mr. Mandela, meine größte Sorge ist, daß der ANC die Leute einschüchtert. Er zerstört ihr Eigentum, läßt sie nicht zur Arbeit gehen, schreibt ihnen vor, wo sie einkaufen müssen, und schafft No-Go-Zonen. Er ist eine gefährliche Partei, die an der Wahlurne geschlagen werden muß.“

Ob die Nationalpartei daran dachte, daß viele der Leser dieser Anzeige weder Arbeit noch nennenswertes Eigentum haben? Dominic Johnson, Johannesburg

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