Kompromiß statt 32-Stunden-Woche

Französische Nationalversammlung wendet „kollektiven Wahnsinn“ ab / Was übrigbleibt, ist die Möglichkeit, die Arbeitszeit „um mindestens 15 Prozent“ zu senken  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Eine Nacht lang dauerte in Frankreich der Traum von der 32-Stunden-Woche. Dann war klar, daß der Senatsbeschluß in der Nationalversammlung nicht ohne weiteres durchkommen würde: Zuerst lehnten die Abgeordneten der liberalkonservativen UDF den Gesetzeszusatz geschlossen ab, dann zogen ihre Koalitionspartner von der neogaullistischen RPR nach. Der Vermittlungsausschuß der beiden Kammern handelte daraufhin einen schwammigen Kompromiß aus, der gestern abend als Gesetz verabschiedet wurde.

Die Empörung der Abgeordneten richtete sich gegen einen Vorschlag, der selbst noch sehr zögerlich war: Die zweite Kammer hatte vor zehn Tagen mit einer kleinen Mehrheit von neun Stimmen beschlossen, die 32-Stunden-Woche nur „auf Experimentierbasis“ einzuführen: Sofern ein Unternehmen die Arbeitszeit kürzt, um seine Belegschaft innerhalb von drei Monaten um mindestens zehn Prozent zu vergrößern, so die Idee, sollte der Staat drei Jahre lang erst 40, dann 30 Prozent der Sozialabgaben zuschießen. Von den Beschäftigten wurde eine Gehaltsminderung um rund sieben Prozent verlangt.

Dies sei ein „defätistisches Vorgehen“, denn es würde die Kaufkraft vermindern, die gesamte französische Wirtschaft schwächen und soziale Konflikte auslösen, kritisierte der UDF-Abgeordnete Jean Bousquet. Zudem fürchtet er eine massive Zunahme der Schwarzarbeit. Ex-Staatspräsident Valéry Giscard d'Estaing bezeichnete die Idee von der 32-Stunden- Woche als „kollektiven Wahnsinn“, denn Frankreich müsse „mit Ländern konkurrieren, wo für viel weniger Geld viel mehr gearbeitet wird als bei uns“. UDF-Fraktionsführer Charles Millon erklärte, die Organisation der Arbeitszeit dürfe nicht Gegenstand von Gesetzen sein, sondern müsse „von Branche zu Branche und Unternehmen zu Unternehmen verhandelt werden“. Selbst der rechtsliberale Gilles de Robien, der bis 1996 landesweit die Viertagewoche vorschreiben will, war gegen den Senatsbeschluß, den er für „viel zu kompliziert“ und zögerlich hält, als daß er überhaupt etwas gegen die Arbeitslosigkeit bewirken könnte.

Der neue Text tut keinem mehr weh: Sorgfältig vermeidet er den symbolträchtigen Begriff „32-Stunden-Woche“ – für viele Konservative hatte er einen zu sozialistischen Klang. Was bleibt, ist die Möglichkeit, die Arbeitszeit „um mindestens 15 Prozent“ zu senken, was auf rund 33 Stunden hinausliefe. Weil die Zusage von „staatlicher Hilfe“ den Liberalen zu dirigistisch erschien, sollen die Firmen nun „partielle Kompensationen“ erhalten, sofern sie ihre Belegschaft innerhalb von sechs (vorher drei) Monaten um ein Zehntel erhöhen und diesen Stand drei Jahre lang behalten.

Arbeitsminister Michel Giraud hatte schon von dem Senatsbeschluß gesagt, er werde „den Arbeitsmarkt nicht revolutionieren“. In dem nun beschlossenen Kompromiß ist nicht einmal mehr der Hauch einer zukunftsweisenden Entscheidung zu sehen: Die Bedingungen für dieses „Experiment“ sind so eng gefaßt, daß sich kaum ein Unternehmen darauf einlassen dürfte.

Die Firmen werden vielmehr auch in Zukunft so verfahren, wie schon jetzt: betriebsintern Kurzarbeit oder Arbeitsteilung aushandeln, wenn die wirtschaftliche Lage sie dazu zwingt. Alle Untersuchungen bestätigen, daß viele Franzosen endlich neue Gesellschaftsformen ausprobieren möchten. Doch ihren Machthabern liegt diese Vorstellung noch unendlich fern. Bislang haben nur die Grünen Arbeitsteilung auch als Zweck an sich diskutiert.