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Carla hätte so gerne eine Lehrstelle

Oder: Der Zusammenhang zwischen beruflicher und akademischer Bildung  ■ Von Christian Füller

Carla hängt durch. Carla, 21 Jahre und Berliner Abiturientin des Jahrgangs 1992, hat zwar einen Studienplatz in Politikwissenschaft. Aber das macht ihr keinen Spaß. „Ich bin niemand, die am Schreibtisch Politik analysiert“, sagte sie. Viel lieber würde sie Restauratorin werden. Das ist ziemlich schwer, denn es gibt kaum Lehrstellen. Also schrieb sie sich an der Universität ein.

Klaus Dieter Teufel sieht den Zusammenhang zwischen akademischer und beruflicher Bildung anders. Die Krise der Hochschulen liege hauptsächlich darin – so führte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg jüngst bei einer Diskussion aus –, daß es mittlerweile mehr Studierende als Lehrlinge gebe. Wie soll der Arbeitsmarkt die vielen Studienabbrecher und Langzeitstudenten aufnehmen? fragte Teufel.

Carla hätte sich geärgert, wenn sie den stellvertretenden Hauptgeschäftsführer hätte hören können. Was hat sie nicht alles getan, um eine Lehrstelle zu bekommen? Nicht nur ihren Traumberuf, Restauratorin, für den es in ganz Berlin gerade drei Lehrstellen gibt, versuchte sie zu ergattern. Auch mit anderen Lehrberufen hatte sie kein Glück. Dabei hat Carla für eine Lehre als Tischlerin einiges in Bewegung gesetzt. Sie telefonierte, fragte nach Lehrstellen oder auch nur Praktika. Sie schrieb Initiativbewerbungen, also solche, bei denen der potentielle Lehrbetrieb gar keine Stellen ausgeschrieben hatte. Was die 21jährige sich einfing, waren Enttäuschungen. Schon eine unhöfliche Antwort am anderen Ende der Strippe macht sie inzwischen unruhig. Carlas Nervenkostüm ist dünn geworden.

Dabei zählt sie noch nicht mal zu den extrem benachteiligten SchulabgängerInnen. Sie hat immerhin Abitur. Hoffnungsloser sieht es bei vielen AbgängerInnen von Haupt- und Realschulen aus. Die Abschlußjahrgänge 92 und 93 sind in Berlin in die größte Lehrstellenkrise seit den 70er Jahren geraten. Noch Ende August, wenige Tage vor dem Beginn der meisten Lehrverhältnisse, suchten 6.000 Jugendliche nach Lehrstellen. Inzwischen, so suggerieren die Zahlen der Offiziellen, sind sie alle untergebracht – abgesehen von zuletzt 850 SchulabgängerInnen in der Stadt. Aber bei Experten und Betroffenen traut man den Statistiken nicht: Hunderte junger Leute haben resigniert. Sie wurden, sagt Rupert Schröter, Sprecher der brandenburgischen Arbeitsministerin Hildebrandt, regelrecht vom Lehrstellenmarkt vertrieben – durch eine monatelange Hinhaltetaktik von Staat und Wirtschaft.

Die volle Tristesse des „Lehrstellenengpasses“ zeigt sich an den Berliner Vollzeitlehrgängen. Anstatt Azubi sein zu können, versuchen junge Leute in einem einjährigen Kursus an den Berufsschulen ihren Hauptschulabschluß aufzumöbeln. Neben der fünfzigprozentigen Überfüllung der Kurse macht ihre heterogene Schülerschaft zu schaffen. Es sind „SchülerInnen“ dabei, die weder Lust noch Ehrgeiz für die Schulbank verspüren. Manche werden, sagt ein Berufsschullehrer, „niemals einen Abschluß erringen“. Sein Vorschlag: Man müsse einen Teil der jungen Menschen in Vollzeitlehrgängen „sozialpsychologisch auf die Arbeitslosigkeit vorbereiten“. In speziellen Kursen seien sie auf den Gang zum Sozialamt vorzubereiten.

Klaus Dieter Teufel diskutiert gerne über den Verbleib von Studienabbrechern; er will über das Obergeschoß des bundesrepublikanischen Bildungswesens räsonieren. Derweil ist dessen Fundament brüchig geworden. Da an Lehrstellen absoluter Mangel herrscht, bleibt die Alternative: rumhängen oder studieren. Wer kein Abitur hat, kennt diese Alternative nicht.

Carla hatte sie und versuchte an eine Fachhochschule (FH) zu gehen, um in einem praktischen Studiengang Restauration zu studieren. Doch das mittlere Geschoß des Bildungssystems ist versperrt. An der FH Potsdam landete sie auf Platz 93 einer Warteliste für 20 Studienplätze. An der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Karlshorst bewarb sie sich erst gar nicht. Dort besorgen Studienvoraussetzungen (zweijährige Lehre und Berufspraxis), was in 90 Prozent anderer FH-Studiengänge der Numerus clausus erledigt: Studierwillige abschrecken. Carla hat keine andere Chance. In den Augen von Klaus Dieter Teufel wird sie Studienabbrecherin oder Langzeitstudentin. Obwohl sie so gern eine Lehrstelle hätte.

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