■ Kein Privatverein mehr
: Neue Verpflichtung

Auf den ersten Blick scheint der Staatsvertrag zwischen dem Land Berlin und der Jüdischen Gemeinde nur eine logische Fortsetzung der geregelten Beziehungen zu sein, die 1971 von Heinz Galinski und Klaus Schütz begonnen wurden. Er ist aber weit mehr. Er ist das offizielle Bekenntnis der Jüdischen Gemeinde, nicht mehr auf gepackten Koffern zu sitzen, sondern in Berlin zu bleiben. 1971 gab es in der Gemeinde noch heftige Diskussionen über diesen „Vorvertrag“, ein Rabbiner quittierte aus Protest gar seinen Dienst. Heute verursacht das weit verbindlichere Gesetzeswerk keinerlei Aufregungen mehr, nur Freude, daß es unter Dach und Fach ist.

In Israel wird dieser Vertrag trotzdem nicht von allen gutgeheißen werden. Noch heute müssen die Vorsitzenden der deutschen Gemeinden sich bei ihren Besuchen Vorwürfe anhören, daß sie im Land der Täter geblieben sind und sich gut eingerichtet haben. Insbesondere der Versuch, die Juden aus der ehemaligen Sowjetunion in Deutschland zu integrieren, anstatt sie nach Israel weiterzuschicken, wird ihnen übelgenommen. Und vehement wird der Vorwurf des Opportunismus nach jedem antisemitischen Vorfall laut.

Der entscheidende Grund für die Jüdische Gemeinde, diesen Staatsvertrag zu unterzeichnen, sind die gewachsenen Aufgaben durch die Neuzuwanderer. Die meisten von ihnen sind Sozialhilfeempfänger und des Deutschen immer noch nicht mächtig. Die Gemeinde braucht mehr Betreuungspersonal und Planstellen, die die ganze Gemeindearbeit professionalisieren. Das System der ehrenamtlichen Vorstandsarbeit ist durch den Vertrag vollends absurd geworden. Die Jüdische Gemeinde ist seit gestern kein Privatverein mehr, sondern institutionalisiert wie die katholische und protestantische Kirche auch. Das ist eine Verpflichtung, die sie durch Öffentlichkeitsarbeit auch nach außen dokumentieren muß. Anita Kugler

Siehe Bericht auf Seite 36