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Die Niederlande entdeckt den Rassismus im eigenen Land

■ Das jahrelange Totschweigen hat nicht gefruchtet: Immer mehr NiederländerInnen neigen zu Gewalt gegen Ausländer

Amsterdam (taz) – „Immer wenn wir über Faschismus reden, zeigen wir mit dem Finger nach Deutschland oder Frankreich. Dabei haben wir ihn vor der eigenen Haustür.“ Harry M. weiß, wovon er spricht: Sein „Café Harry“ in Amsterdam wurde am vergangenen Sonntag von etwa 25 rechtsradikalen Skinheads aufgemischt. Als die Polizei kam, waren die Täter längst verschwunden – hinterlassen hatten sie einen Scherbenhaufen, verprügeltes Personal und Aufkleber der rechtsextremen „Centrumpartei '86“.

Das Café Harry wurde nicht zufällig zur Zielscheibe: Hier wurde ein Teil der niederländisch-deutschen Fernsehserie „Die Bombe tickt“ über die Faszination von Rechtsextremismus für Jugendliche gedreht. Den Beweis für die Richtigkeit seines Handelns brachten Harry M. die Skinheads jetzt selber: „Hätte ich das Café nicht zur Verfügung gestellt, könnten solche Filme nicht gemacht werden. Und der Überfall hat bestätigt, daß solche Filme gedreht werden müssen.“

In den Niederlanden beginnt in diesen Wochen ein böses Erwachen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren Rassismus und Faschismus Tabuthemen in dem kleinen Land. Mit Blick auf die deutschen Nachbarn verwies man immer wieder stolz auf die eigene Toleranz. Auch die Wahlergebnisse schienen das zu bestätigen: Mit gerade einmal 0,9 Prozent der Wählerstimmen wurde Hans Janmaat, Symbolfigur der niederländischen Rechten und Vorsitzender der 1982 gegründeten „Centrumdemokraten“ (CD), bei den letzten Parlamentswahlen als einziger in die Zweite Kammer gewählt und führte dort einen einsamen Kampf. Die CD ist die gemäßigste und erfolgreichste rechtsextreme Partei in den Niederlanden. Im europäischen Vergleich schien ihr Potential vernachlässigbar.

Jetzt kündigt sich das Ende dieser Ära an: „Rassismus unter Jugendlichen folgt deutschem Vorbild“, „Wie lange dürfen wir noch antideutsch sein?“, „Zwölf Monate Rassismus“ titeln in diesen Tagen die großen niederländischen Zeitungen: 337 gegen Ausländer gerichtete Aktionen wurden von Januar 1992 bis Juli 1993 registriert, darunter 17 Brandstiftungen, vier Bombenanschläge, acht Mißhandlungen, 38 falsche Bombenmeldungen, 95 Schmierereien, 59 Drohbriefe. Die Tendenz ist steigend: Beinahe täglich berichten Zeitungen von Hakenkreuzen und rassistischen Losungen an Häuserwänden.

Die Zeiten, in denen Rassismus gesamtgesellschaftlich tabuisiert war, gehen zu Ende, konstatiert auch die „Anne-Frank-Stiftung“ in Amsterdam. Auch wenn der Ernst der Lage mit Deutschland nicht vergleichbar sei, werde der Nährboden für Rassismus immer stärker. Sieben Prozent der Jugendlichen stimmen der Gewalt gegen Ausländer zu, weitere 13 Prozent zeigen Verständnis. Das ergab eine jetzt veröffentlichte Umfrage des deutschen Professors Rudolf Leiprecht unter 570 17- bis 20jährigen. Immer wieder gestellte Rückfrage an ihn: Ob er nicht besser den Rassismus in seinem eigenen Land untersuche?

Vielleicht nicht. Aufgerüttelt wurde die niederländische Öffentlichkeit, als im Februar Wählerumfragen Janmaats Partei einen Zuwachs von einem auf vier bis sieben Sitze im Parlament bei einem Wählerzuwachs von 0,9 auf zwei bis vier Prozent prognostizierten. Damals begann man zu zweifeln, wie lange rechtsextremes Potential durch Totschweigen unterdrückt werden könne.

Denn das war Tradition und Strategie: Jahrelang wurde Hans Janmaat von Politikern gemieden und von den Medien geschnitten. Der Amsterdamer Fernsehsender „AT 5“ sagte nach heftigen Protesten aus der Antirassismus-Bewegung sogar einmal die Ausstrahlung eines Programms über das Aufkommen der Rechten kurzfristig ab. Jetzt wird all das nachgeholt: Stimmungsberichte aus Janmaats Nachbarschaft, Portraits von rechten Parteiführern und Interviews mit deren Wählern sind an der Tagesordnung. Inwieweit die Parteien davon profitieren, wird sich im kommenden Mai erweisen: Fünf rechtsextreme Parteien stellen sich zur Parlamentswahl, darunter neben der CD die offen nationalistische „CP '86“ mit der Losung „Eigen Volk eerst“, die offen gegen Ausländer agitiert und in ihrem Wahlprogramm außer für die Wiederherstellung der österreichischen und deutschen Grenzen von 1938 auch für die groß-niederländische Lösung plädiert: die Vereinigung der Niederlande, Flanderns und Südafrikas. Der 22jährige Arnhemer Parteisekretär Constant Kusters ist gleichzeitig Mitglied des „Vlaams Blok“ in Belgien und besucht Deutschland auch schon mal in SA-Uniform. Auch vor rassistischer Gewalt in den Niederlanden schreckt die CP nicht zurück: Fünf Parteimitglieder wurden am Mittwoch in Nijmwegen festgenommen. Sie gestanden, während des Sommers an mindestens 42 Straftaten beteiligt gewesen zu sein, unter anderem an 16 gegen Ausländer gerichteten Brandstiftungen.

Ferner werben drei protestantische Parteien um Wähler am rechten Rand: Treffend „Klein- Rechts“ genannt, waren SGP, GPV und RPF allerdings bisher chancenlos. Aufsehen erregte lediglich die SGB, als sie im September unter Berufung auf die Bibel beschloß, auch weiterhin keine Frauen aufzunehmen.

Als aussichtsreichste rechte Partei gilt weiterhin die CD mit 3.000 Mitgliedern, die nicht nur über ein Parteibüro, sondern auch über eine Forschungsabteilung sowie über eine Anzahl von Stiftungen verfügt. Statt an den belgischen „Vlaams Blok“ halten sich Janmaat und seine Freunde an die deutschen Kollegen: Vom DVU-Vorsitzenden Gerhard Frey bekam der Den Haager CDler Wil Schuurmann 1992 den mit 20.000 Mark dotierten Andreas-Hofer-Preis verliehen. Mit einer gemäßigt nationalistischen Linie will Janmaat Wähler gewinnen. Seine These: In den Niederlanden sei kein Markt für Antisemitismus und Hitler-Verehrung. Offen diskriminierende Slogans umgeht Janmaat geschickt. Statt dessen kommt er auf Umwegen auf die Anwesenheit von Ausländern im Land zu sprechen: Wohnungsnot, Kriminalität, Drogenhandel und Arbeitslosigkeit sind seine Themen. Der Wahlslogan „Die Niederlande den Niederländern“ wurde bereits vor Jahren geändert: „CD, du weißt schon, warum.“

Als gemäßigt lassen sich allerdings nur Teile der CD bezeichnen: So wird die Jugendorganisation der Partei durch Martin van der Grind, prominentester Skinhead der Niederlande und Herausgeber einer Nazi-Skinzeitschrift, geleitet. 1986 saß er wegen der Beteiligung am gewaltsamen Tod eines Ausländers im Gefängnis. Augenzeugen wollen ihn jetzt auch bei dem Überfall auf das Café Harry gesehen haben. Sein Parteiführer Janmaat läßt selbstverständlich keine Gelegenheit aus, sich im Namen seiner Partei von rassistischen Aktionen zu distanzieren. Jeannette Goddar

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