: Überläßt die UNO Bosnien dem Hunger?
■ UNO-Vermittler Stoltenberg: Nur „Krisenherd neben anderen“ / Kaum Chancen für Hungerhilfe
Genf (taz) – In der „internationalen Staatengemeinschaft“ verstärken sich die Tendenzen, Bosnien-Herzegowina seinem Schicksal zu überlassen. UNO-Vermittler Thorvald Stoltenberg plädierte in der Nacht zum Freitag vor dem Sicherheitsrat in New York für einen Rückzug der UNO, falls sich die drei Kriegsparteien nicht „kooperativer“ verhielten. Der Vermittler der Europäischen Union (EU), David Owen, gibt bereits zu, daß er mit dieser Kooperation nicht mehr rechnet. Nach Einschätzung des Flüchtlingshochkommissariats sind im Kriegsgebiet während der nächsten Monate drei Millionen Menschen akut vom Hunger- und Kältetod bedroht.
„Bosnien und Ex-Jugoslawien sind Krisenherde neben anderen in der Welt, die die Aufmerksamkeit der UNO verlangen“, erklärte Stoltenberg vor dem Sicherheitsrat. Falls sich ihre Bemühungen in Bosnien nicht bald als „effektiv“ erwiesen, solle „die UNO sich anderen Problemen zuwenden“.
Bosniens muslimischer Regierungschef Silajdzić, der Führer der bosnischen Serben, Karadžić, sowie der Chef der westherzegowinischen Kroaten, Boban, hatten am Donnerstag abend in Genf in einer schriftlichen Vereinbarung zugesagt, humanitäre Hilfslieferungen künftig nicht mehr zu behindern und die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit von Personal der UNO und internationaler humanitärer Organisationen zu gewährleisten. Flüchtlingshochkommissarin Ogata, unter deren Vermittlung die Gespräche stattgefunden hatten, empfahl daraufhin UNO-Generalsekretär Butros Ghali, die Hilfslieferungen zu Lande wieder aufzunehmen.
EU-Vermittler Owen begründete seine Skepsis mit den anhaltenden schweren Kämpfen zwischen kroatischen Milizen und den überwiegend muslimischen Regierungstruppen in Zentralbosnien. Diese Kämpfe fänden entlang der wichtigen Zufahrtsstraßen für die Hilfskonvois statt. Da beide Seiten weiterhin die militärische (Rück-)Eroberung von Gebieten anstrebten, sei ein Ende der Kämpfe bislang nicht absehbar. Owen betonte, daß entgegen aller Zusagen des kroatischen Präsidenten Tudjman weiterhin starke reguläre kroatische Truppen auf seiten der bosnischen Kroaten kämpften. Nach seinen getrennten Gesprächen mit den Führern der drei Kriegsparteien beurteilte der Vermittler der EU auch die Chancen auf Wiedereröffnung der Flughafens Tuzla für humanitäre Hilfsflüge als gering. Der Flughafen selbst wird von den bosnischen Regierungstruppen kontrolliert, ist aber von einem breiten Belagerungsring serbischer Truppen umgeben. Diese sind laut Owen in der Lage, jedes ankommende Flugzeug abzuschießen. Den Vorschlag, Hilfskonvois mittels massiv verstärkter Begleitung durch Unprofor-Soldaten mit schweren Waffen durchzusetzen, lehnte er ab. Diese Idee war ursprünglich ein Kernpunkt der deutsch-französischen Initiative, die von den Außenministern Kinkel und Juppé vorgelegt worden war. Bei den vorbereitenden Sondierungen für den Außenministergipfel am kommenden Montag stieß das Vorhaben allerdings auf so wenig Zustimmung, daß Bonn und Paris es kleinlaut fallenließen. Auch die von Kinkel und Juppé verlangte Einberufung einer neuen Bosnien-Verhandlungsrunde lehnte Owen ab. Dafür mangele es an der ernsthaften Bereitschaft aller Parteien, zu einer Vereinbarung zu kommen. Andreas Zumach
Siehe auch Seite 8, Kommentar Seite 10
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