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Krimikämpfer im Aikido-Griff

■ Gesichter der Großstadt: Der Aikidolehrer Jürgen Ebertowski schreibt nebenberuflich Krimis / Der 44jährige Berliner ist Leiter einer Kampfsportschule

Kaum hat Jürgen Ebertowski seine Aikidoschule „Aikikan“ in Kreuzberg verlassen, wirkt er wie verwandelt. Noch eine halbe Stunde zuvor hat er im weißen Kampfanzug elf Schülern konzentriert und zurückhaltend Anweisungen erteilt, hat seine Gegner ein ums andere Mal aufs Kreuz gelegt und sich selber zu Boden werfen lassen.

Nun sitzt der 44jährige in einer Kneipe am nahegelegenen Oranienplatz vor seinem Bier, redet wie ein Wasserfall, raucht eine Zigarette nach der anderen. Die Regeln der japanischen Kampfsportart „Aikido“ – zu deutsch Harmonie (ai), Energie (ki) und Weg (do) – scheinen in diesem Augenblick außer Kraft gesetzt. „Wenn ich auf der Matte stehe, bin ich weit weg. Das ist für mich wie ein Time-out, nur vergleichbar mit dem Schreiben“, sagt der Kampfsportlehrer. Ebertowski ist euphorisch: Kürzlich hat er mit „Esbeck und Mondrian“ seinen ersten Krimi veröffentlicht.

Nach einer recht erfolgreichen Präsentation auf der Frankfurter Buchmesse findet er sich in einer ungewohnten, neuen Rolle wieder, reist im Lande umher, liest in Buchhandlungen und Kneipen, kommt heraus aus den Räumen seiner Schule, die er seit 1986 betreibt. „Es war Zeit, mal etwas anderes zu versuchen“, sagt er zu den Gründen, die ihn an den Schreibtisch, vor den Computer trieben. Japan und Deutschland sind die Schauplätze seines ersten Krimis, in dem es um Kunsthandel und -fälschung geht. „Ich glaube, man orientiert sich immer ein wenig an den eigenen Erfahrungen“, sagt Ebertowski und erklärt so nebenbei, warum manche Details seines Buches und seines Helden Klaus Esbeck stark an seine eigene Biographie erinnern. Nach dem Studium der Japanologie und Sinologie an der FU ging der gebürtige Berliner 1972 nach Japan, lehrte sechs Jahre am Goethe-Institut in Tokio und wurde, wie sein Krimiheld, ein Aikidofan.

Seit seiner Rückkehr nach Deutschland hat er Japan nicht mehr besucht. Im eigentlichen Sinne sei sein Krimi eine Aufarbeitung der japanischen Erfahrungen, sagt Ebertowksi heute. Irgendwann habe er gemerkt, daß sich sein Charakter mit den Menschen und den Regeln des Landes nicht mehr in Einklang bringen ließ. Daß er, wie er es in Berlin tat, für seinen Krimi auf Werbetour ging und in den Zeitungsredaktionen einfach hereinplatzte und Journalisten sein Manuskript auf den Tisch legte – das wäre in Tokio nicht möglich gewesen: „Insofern war das auf Dauer dort nicht das Wasser, in dem ich hätte schwimmen mögen.“

Die Idee, ein eigenes Buch zu schreiben, haben viele Freunde mit Kopfschütteln begleitet. Verunsichern lassen hat er sich dadurch nicht. Einmal infiziert, hat ihn der Krimivirus nicht mehr losgelassen. Vorbei die Zeiten, in denen er Bücher nur konsumierte. Ein zweiter Krimi, der in Berlin spielt, läuft derzeit als Vorabdruck im Nord- Berliner. Über Pläne für weitere Bücher redet Ebertowski gerne ausgiebig und lange. „Aber größenwahnsinnig bin ich nicht, ich stehe erst am Anfang“, wehrt er sich gegen eventuelle Höhenflüge. Ein Satz, der so unerwartet daherkommt, als hätte ihn gerade ein Aikidokämpfer überrascht und auf die Matte gezwungen. Und dabei in die Wirklichkeit zurückgeholt. Severin Weiland

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