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„Wir sind nicht Sisyphus, und wir wissen, was wir tun“

■ betr.: „Kein Reparaturbetrieb für böse Kinder“, taz vom 29.10.93

„Wer Kinder mißhandelt, hört damit nie ganz auf“, werde ich – unzutreffend – zitiert. Der Artikel suggeriert, daß wir versuchen, was gar nicht gehe: Familienberatung mit gewaltsamen Familien. Veränderung der Eltern sei nicht möglich, Trennung sei angesagt. Wenn's so wäre, dann zelebrierten wir seit 18 Jahren masochistisch das eigene Scheitern.

Wir sind nicht Sisyphus, und wir wissen, was wir tun. Zugegeben, wir können nicht zaubern, und Eltern in Not, die gewalttätig reagieren, lernen langsam und mühselig. Gewalt gegen Kinder möchte man – kann man aber nicht – per Knopfdruck abstellen; Neues muß langsam wachsen und erprobt werden.

Nicht immer können wir helfen, gut zusammenzubleiben, dann versuchen wir zu helfen, sich gut zu trennen, und auch das geht nicht ohne Arbeit mit Eltern.

Der Artikel hat einen Unterton: Gewalttätige Eltern sind uneinsichtig, sie haben ihren Kindern nichts zu bieten außer Schlägen und Gewalt; am schlimmsten sind die Eltern aus dem Osten, die alles auf die Kinder schieben. Wer so denkt, will mit diesen Eltern nichts zu tun haben, will nicht sehen, daß diese Eltern selbst sehr leidvolle Lebensgeschichten (oft mit vielen Trennungen) haben und in sozialer Not leben; daß sie verzweifelt um eine gelungene Beziehung zum Kind und zueinander kämpfen. Wahr ist, daß sie oft nicht wissen, was schiefläuft und was helfen könnte. Und daß sie Angst haben, daß wir so über sie denken, wie die taz sie beschreibt, und deshalb von anderen nichts Gutes erwarten. Sie befürchten Strafe, Vorhaltungen, Verachtung, Haß. Deshalb sind sie hilfsbedürftig und fürchten die Hilfe zugleich.

Nur indem wir die Gewalt verstehen (hat nichts mit Billigen zu tun), können wir ändern. Nur indem wir selbst nicht ausgrenzend (= gewaltsam) reagieren, gibt es ein Muster für gewaltloses Handeln. Der taz-Artikel trägt (wohl entgegen der Absicht) dazu bei, die Isolierung von gewaltsamen Familien zu vergrößern und den Zugang zur Hilfe und zum Kinderschutz-Zentrum zu erschweren. Georg Kohaupt, Familienberater im Kinderschutz-Zentrum

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