: Historia non grata
■ Das war „Das war die DDR“, eine Dokumentarserie des MDR im Ersten
Vier Jahre nach dem Mauerfall und drei Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung hat der MDR sie gestellt: Die Frage, was die DDR einst war, wollte man als Provokation verstanden wissen. In sieben Teilen sollte filmisch ein politischer Raum organisiert werden, dessen Geschichte derzeit einerseits Historia non grata darstellt, andererseits zum Gegenstand zunehmender Verklärung gerät. Das „Wunder von '89“, die „sanfte Revolution der Kerzen“, davon will eigentlich keiner mehr was hören. Bleibt die Spekulation: Fallen 40 Jahre DDR wenig oder schwer ins Gewicht?
„Das war die DDR“ selektierte aus Hunderten möglicher Deutungen, tat dies aber, wohl schier überwältigt von der Fülle des Materials, leider etwas hastig und halbherzig, im geschichtlichen Überflieger. Was die DDR war, gibt „Antworten wie Abzählreime“: das andere Deutschland, Arbeiter-und-Bauernstaat, Hammer, Zirkel, Ährenkranz, Mauer und Stacheldraht, Stasi und Sport etc. pp. Im Längs- und Querschnitt sezierte man das andere Deutschland nach dem immer gleichen Modell. Rückblickend wurden Zeitzeugen befragt, vornehmlich „kleine Leute“, und einer Parade von Dokumentarfilmsequenzen entgegengehalten. Heute kontra gestern; wie ging und geht es etwa der Friseuse aus Pankow in den beiden deutschen Welten?
Das strikte Bemühen um Authentizität aber hatte eine verwirrende Unschärfe im Schlepptau. Wenig Kommentare, dafür eilig montierte O-Töne- und Bilder allewege, die zwar weit entfernt davon waren, eine sepiagefärbte Nostalgie zu verströmen, einen aber in ihrer überbordenden Präsenz fast zu erschlagen drohten. Die Filmreihe gegen das Vergessen mutierte zum großen Fressen von Material, das sein Verfallsdatum möglicherweise schon aufgedruckt trug. „Das war die DDR“ rekonstruierte die Genese und die Anamnese des Zusammenbruchs eines Potemkinschen Dorfes namens realexistierender Sozialismus, das Scheitern zwischen den Mühlsteinen Anspruch und Realität. „Eine Geschichte des anderen Deutschland“ entstand im Versuch einer Ost-West-Symbiose der Macher; so waren die DDR-Dokumentaristen Gitta Nickel und Wolfgang Schwarze beteiligt. Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit in der DDR: Wie fühlte es sich an, ein Dissident zu sein? Heute ungewollt tragikomische Ansätze, die beim Näherkommen gar nicht mehr komisch wirken. „Von der Zone zum Staat“, „Vom Plan zur Pleite“, „In Fürsorge für das Volk“, „Geist und Macht“ oder „Schild und Schwert“ bewegten sich zwischen Reflexion und Rechtfertigung, Wehmut und Läuterung – eine sehr ambitionierte Bestandsaufnahme, die – auch und leider – Materialüberschneidungen einschloß.
Die DDR: Bitte nicht wegwerfen!
Alle waren sie noch einmal zu vernehmen: Krenz und Schorlemmer, der unvermeidliche Wolf Biermann und der noch peinlichere Lutz Rathenow, Gewerkschaftschef Harry Tisch und ein Ex-VEB- Direktor, die Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe und die Bauersfamilie aus der Altmark.
„Das war die DDR“ zeichnete noch einmal eine Demontage dessen, was praktisch schon längst demontiert war: den Ausschließlichkeitsanspruch eines Staates. Noch am 1. November 1989 stand für Egon Krenz „die Frage der Wiedervereinigung nicht auf der Tagesordnung“: „Wir wollen eine DDR, von der jeder sagen kann, das ist unser Land“, verkündete der Interimsherrscher damals. Die DDR scheint sehr lange her. Der Versuch der Aufarbeitung von DDR-Geschichte indes war ebenso global wie intim konzipiert, Allgemeines im Individuellen illustrierend, und das zumindest verdient einigermaßen Achtung. Wie Ulrike Poppe es formulierte: „Da ich mich selbst nicht wegwerfe, werfe ich die DDR nicht weg.“ Erhebungen zufolge soll ein Viertel der Neubundesbürger die Serie gesehen haben. Anke Westphal
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