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Sexus, Spiel und Sammeln

■ Kunstverein: Hamburger-Pommes-Ketchup - Neue Kunst in Hamburg?

Was macht ein Frankfurter Veteran graphischer Addition wie Professor Bayrle oder gar ein Opa aus Paris in einer Ausstellung Neuer Kunst aus Hamburg? Spätestens angesichts der auf die vierziger Jahre zurückgehenden Decollagen des über siebzigjährigen Raymond Hains, wird das Konzept der Ausstellungsmacher für Nicht-Eingeweihte völlig unklar. Denn das Duo Kaspar König/Hans Ulrich Obrist hat die vierte Ausstellung des seit sechs Jahren bestehenden Vereins Neue Kunst in Hamburg mit guten Gründen und zweifelhaftem Ergebnis internationalisiert.

Um nicht zu einem „institutionalisierten Talentschuppen zu verkommen“ (König), haben die beiden, die gleichzeitig in den Deichtorhallen die Malereisammlung Der zerbrochene Spiegel erstellten, den Aspekt der Vernetzung in den Vordergrund gestellt. Da nach deren Ansicht an verschiedenen Orten gleichzeitig ein sehr hoher Informationsstand gegeben sei, Paris so gut wie Hamburg wäre und Abgrenzungen nach Alter nur kalifornischen Jugendlichkeitswahn spiegele, haben König und Obrist den Hamburger Künstlern aus dem, was sie an den Orten ihres Wirkens so kennen und schätzen, je zwei Künstler hinzugefügt.

Für Hamburg stehen der 26jährige Gunter Reski, Mitorganisator der schauervollen Ausstellung „Kunst 2000, der duale Pinsel“ und Herausgeber des alternativen Kunstblatts „Danke“ mit einer Wand voller Filzstift-Zeichnungen; Andreas Slominskis Fußballplakate von Vereinen aus Orten, die in seinem Leben wichtig waren; Achim Beitz's Vitrinen mit einer ganzen Modellstadt voller Beischlaf: geometrisch reduzierte Figuren, Formen und Körper aus Pornofotos und die weltweit gefeierte Hanne Darboven.

Sammeln und das Spiel mit inszenierten Zusammenhängen ist nicht nur bei Slominski das eigentliche, unausgesprochene Thema der Ausstellung. Hanne Darbovens lebenslange, geradezu manische Beziehungserzwingungen zwischen ihrem Ort, ihrer Zeit und den Dingen ist im „Buch der Bilder/Fin de Siècle“ dokumentiert. Marco Lehanka schreibt mit seinen Bild-Text-Tafeln seine private Enzyklopädie. Für Bayrle sind Dinge seit langem fraktal und additiv: Adam und Eva nach Dürer setzen sich aus einem vielfach wiederholten Sexbild zusammen, das Sexbild selbst aus verzerrten Fotoapparaten. Fürs Gigantische sorgt die im Guiness-Buch eingetragene Riesen-Seife von Fabrice Hybert, die in Hamburg eine Welttournee beginnt.

Hamburger-Pommes-Ketchup, wie sich die Ausstellung ironisch selbst benennt, scheitert an der enzyklopädischen Kunstkenntnis ihrer Kuratoren und versandet in der post-kritischen Beliebigkeit eines Diskurses, der auf unbestimmte Vielfalt da hinweist, wo nur individuell klar definierte Positionen Interesse für eine Auswahl wecken können. Hajo Schiff

Klosterwall 23, bis 9.Januar, Di-So 11-18 Uhr, Do bis 21 Uhr

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