: "Kunstprodukt" statt Geheimbund?
■ Heftige Kritik im Innenausschuß an Kreuzberger Stadtplaner für öffentliche Äußerungen nach Anschlag Polizeipräsident will Solidargemeinschaft der Opfer und "intelligente Verbrechensbekämpfung"
Dem Leiter des Kreuzberger Stadtplanungsamtes Rudolf H. bleibt nichts erspart: Am vergangenen Freitag zündeten Unbekannte vor der Tür seines Zehlendorfer Reihenhauses eine Rohrbombe. Gestern wurde H. im Innenausschuß wegen seiner öffentlichen Äußerungen nach dem Anschlag heftig attackiert. Gegenüber der taz hatte er gesagt, daß er sich „absolut unschuldig“ fühle, denn er als Beamter setze in Kreuzberg lediglich um, was das rot-grüne Bezirksamt beschließe. Der CDU-Abgeordnete Andreas Hapel unterstellte H. gestern, er habe damit gesagt, „andere sollen vom Terror überzogen werden“. Das Verhalten des Opfers sei „kritikwürdig“, meinte auch der FDPler Rolf-Peter Lange und fragte: „Wo kommen wir denn hin“, wenn Beamte öffentlich erklärten, wo sie politisch stehen? Saberschinsky nannte H. in einem Atemzug mit „legalen und illegalen Interessengruppen“, die die Antihaltung militanter Gruppen wie RAF und RZ gegen Senats- und Bezirksplanungen „tragen“. Denn in der Morgenpost, so Saberschinsky wörtlich, habe H. gesagt: „Wir machen eine linke und ökologische Stadtplanung und verhindern nun wirklich alles, was der Senat für den Bezirk plant.“
Der von dem Polizeipräsidenten abgegebene Überblick über die Zusammenhänge zwischen den Anschlägen in Zehlendorf mit denen in Kreuzberg war wenig erhellend. Die als Täter vermuteten Angehörigen von „Klasse gegen Klasse“ seien keine fest umrissene Gruppe oder ein Geheimbund, sondern ein „Kunstprodukt“, um extremistische Veröffentlichungen in die Medien zu bringen. Die Schreiber, so Saberschinsky, seien „nicht identisch mit den Tätern“. Bislang habe sich „Klasse gegen Klasse“ zu 58 Straftaten bekannt, davon 13 Brandanschläge und ein Tötungsdelikt – auf den Funktionär der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ Gerhard Kaindl. Das Bekenntnis, Kaindl erstochen zu haben, sei später zurückgezogen worden. Als Grund vermutete der Polizeipräsident, die Verfasser hätten wohl „nach einer rechtskundigen Beratung“ erkannt, daß gegen sie ein Ermittlungsverfahren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung eingeleitet werden könne. Daß nach den Anschlägen auf das Restaurant „Auerbach“ und das Geschäft „Alimentari & Vini“ eingegangene Bekennerschreiben stamme wohl von Trittbrettfahrern.
Als Hauptschwierigkeit bei den Ermittlungen nannte Saberschinsky das in Kreuzberg seit Hausbesetzerzeiten vorherrschende Klima der Abgrenzung gegen den Staat. Diese Strukturen führten zu einer Vereinzelung der Opfer. „Wer bleiben will, kooperiert nicht mit der Polizei.“ Es sei sehr schwer, Hinweise auf Täter zu bekommen. „Glaubt man Gerüchten“, so Saberschinsky, wisse man in der Szene „recht genau“, wer hinter den Anschlägen stecke. Das Täterfeld solle die Sonderermittlungsgruppe des Staatsschutzes in „enger“ Kooperation mit dem Verfassungsschutz – der von 1.200 Autonomen spricht – nun durch vertrauensbildende Maßnahmen einzugrenzen versuchen. Außerdem soll die Polizeipräsenz verstärkt sowie eine „intelligente Verbrechensbekämpfung“ mittels gründlicher Informationserhebung- und Auswertung betrieben werden. Ziel sei es, wie am Ku'damm, eine „Solidargemeinschaft der Opfer“ aufzubauen. Der Grünen-Abgeordnete Wolfgang Wieland hält nicht viel von den angekündigten Maßnahmen: Schließlich gelinge es der Polizei noch nicht einmal, den Mann dingfest zum machen, der regelmäßig die Fenster der jüdischen Synagoge einwerfe und dabei sogar schon mehrmals fotografiert wurde. Plutonia Plarre
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen