: Unbeugsame Querfunker
■ Fünf Jahre "Radio Dreyeckland"
Die ganze Republik ist von Kommerzfunkern besetzt. Die ganze Republik? Nein, im Südwesten des Landes macht ein Stamm von unbeugsamen Querfunkern „Freies Radio“. Seit fünf Jahren sendet Radio Dreyeckland (RDL) täglich 19 Stunden, ganz legal.
Rückblende: Nachdem ein halbes Jahr lang nur vier Stunden täglich auf der Frequenz eines Freiburger Privatradios gesendet werden konnte, wurde den alternativen Querfunkern am 23. November 1988 von der Landesanstalt für Kommunikation (LFK) eine eigene Frequenz zugeteilt. Das Abenteuer „Freies Radio“ ging nach elf Jahren illegalem Senden in seine zweite Phase. Heute lebt die Diskussion, ob früher, in der Illegalität, nicht alles viel besser gewesen sei, nur noch sporadisch auf.
Fast zweihundert ehrenamtliche Redakteure gestalten das Programm, ein festes Programmschema sorgt für Orientierung. Täglich informiert „RDL-Info“ über Aktuelles und Hintergründiges aus der Region. Den Rest der Zeit füllen Spartensendungen, die von festen Redaktionsgruppen gemacht werden, wie das „Knastradio“, das „Frauen- und Lesben- Radio“, die „Schwule Welle“ oder das Umweltmagazin. Immmerhin 40.000 Menschen gaben bei einer Umfrage an, wenigstens einmal wöchentlich RDL zu hören.
Im „Gruppenradio“ kommen die Menschen zu Wort, für die RDL gemacht ist: HörerInnen, die nicht Radio um des Radios willen machen, sondern weil sie in den etablierten Medien vernachlässigte Interessen vertreten. Das Konzept hat Erfolg: Seit einiger Zeit bringen GewerkschafterInnen im „Arbeitswelt-Radio“ Nachrichten aus der Arbeitswelt. Fremdsprachige Sendungen sind fester Bestandteil des Programmschemas geworden, und das Projekt „Jugendradio im Dreyeckland“ bietet Jugendlichen auf dem Land die Möglichkeit, eigene Radiosendungen zu machen. Vor Ort werden in Jugendzentren selbstgeschriebene Hörspiele oder Berichte über die Situation von Jugendzentren produziert.
Ohne Konflikte und zweifelhafte Sendungen läuft das alles allerdings nicht ab. Regelmäßig gibt es Streit über sexistische Berichte und Programme. Während des Golfkrieges luden einige Autonome einen sogenannten Israel- Experten ins Studio, der antisemitische Parolen verbreitete. Das Studio wurde von HörerInnen besetzt, die Sendung abgebrochen. Später gab es eine längere Debatte aller beteiligten Radio-MacherInnen – live über den Äther.
Probleme bereitet noch immer das Geld. Der Träger des Projekts, der „Freundeskreis Radio Dreyeckland e.V.“, hat zwar über 2.000 zahlende Mitglieder, doch erst ab 10.000 Mitgliedern, so rechnet man bei RDL, wäre das Projekt finanziell abgesichert. So müssen immer wieder Drittmittel herbeigeschafft werden. Das „Jugendradio im Dreyeckland“ wird von der Jugendstiftung Baden-Württemberg unterstützt, das „Arbeitswelt-Radio“ von der Böckler-Stiftung. Ein Projekt finanziert die EG: RDL ist die Zentrale eines europäischen Programmaustauschs von „Freien Radios“ in ganz Europa.
Aber auch in Baden-Württemberg wird RDL nicht mehr lange alleine sein. Bei der Neuausschreibung aller Frequenzen hat die Landesanstalt für Kommunikation sieben Frequenzen für nicht-kommerziellen Rundfunk ausgeschrieben. Nun muß Geld her, damit die alternativen RadiomacherInnen ausgebildet werden können. Zu diesem Zweck wurde die Assoziation Freier Gesellschaftsfunk (AFF) ins Leben gerufen, die Gelder bei der LFK beantragt. Bei RDL bestünde die Möglichkeit, den Radio-Initiativen die ersten Schritte ins Freie-Radio-Leben zu erleichtern. Interesse an dieser Ausbildung besteht auch in Niedersachsen, wo die rot-grüne Koalition nicht-kommerzielles Radio möglich gemacht hat. Matthias Tang
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