■ Die FDP und der Lauschangriff: Gnadenfrist für ein Grundrecht
Wenn das Thema nicht so ernst wäre, würde man sich gerne der Schadenfreude überlassen. Die FDP hat sich mit ihrer ablehnenden Haltung zum Großen Lauschangriff in eine Zwickmühle gebracht, in der ihr jeder Zug nur Verluste bringen kann. Das Aussitzen aber ist bekanntlich eine Domäne anderer politischer Kräfte und wirkt bei kleinen Parteien schon mangels Masse nicht.
Der Schutz der Freiheit des einzelnen gegenüber den Ansprüchen des Staates gehört zu den Glaubenssätzen der Liberalen. Aber Glaubenssätze sind Glaubenssätze, und die Angst vor dem Superwahljahr 1994 und der Zukunft der FDP unter einer großen Koaliton oder einer rot-grünen Regierung hat eine reale Grundlage. Die SPD glaubt, mit ihrem knappen Votum für die Preisgabe des Grundrechts dem Druck der Konservativen entkommen zu sein. Doch darf die CDU/CSU nach dem Koalitionsvertrag keinen Gesetzentwurf im Bundestag einbringen, über den sich die Regierungsparteien nicht vorher geeinigt haben. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen, und so darf die Union auch einem SPD-Antrag zur Grundgesetzänderung nicht zustimmen. Der Druck der Union auf den Koalitionspartner wächst. Dabei ist der Wanzenangriff nicht das einzige Thema, bei dem der Konsens zwischen Union und Liberalen in der Regierung bröckelt: Auch bei der Pflegeversicherung stehen die Liberalen gegen eine große Koalition.
Aber die Umfallerpartei FDP hat diesmal auch beim Umfallen nichts zu gewinnen. Daß die Liberalen nun die Sorge um Arbeitsplätze zum wichtigsten Wahlkampfthema machen wollen, wird niemanden überzeugen. Und das bißchen liberale Profil will die FDP zum Auftakt des Superwahljahres nicht leichtfertig aufgeben. „Wir haben das sehr starke Bedürfnis danach, bei den Liberalen wieder einmal mehr Standfestigkeit zu erleben“, sagt Generalsekretär Werner Hoyer und spricht damit die diffusen Ängste einer Partei an, die ihrer Profillosigkeit wegen auch schon in liberalen Zeitungen für überflüssig erklärt wird.
Bleibt die FDP also standfest, können die beiden großen Parteien die Grundgesetzänderung allein nicht durchbringen. Die SPD muß das auch nicht, weil das Bekenntnis von Wiesbaden wahltaktisch auch ohne Wanzen-Gesetz wirkt. Der Lauschangriff im Wohnzimmer wäre auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben. In einer großen Koalition würde sich Rudolf Scharping dann eines Politikers erinnern, mit dem er seit dem Wiesbadener Parteitag immer wieder verglichen wird. Von Helmut Schmidt stammt der Satz, wonach die größten Grausamkeiten am Anfang begangen werden müssen. Die Gnadenfrist für das Grundrecht dauert so höchstens ein Jahr. Hans Monath
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