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Fastenaktion gegen Todesschwadrone

Präsident El Salvadors bleibt hart / UNO vermittelte / Regierung will Untersuchungskommission selbst besetzen / Unbehagen an der Basis der ehemaligen Guerilla FMLN  ■ Aus Managua Ralf Leonhard

Mit einer Fastenaktion will eine Gruppe von vierzig Menschen in der Kirche von San Antonio im Bezirk Chalatenango eine Untersuchung der Aktivitäten der salvadorianischen Todesschwadrone erzwingen. Mittlerweile, drei Wochen nach Beginn des Fastens, stehen mehrere der Beteiligten, darunter der prominente Jesuitenpater Jon Cortina, am Rande ihrer Kräfte. Doch Präsident Alfredo Cristiani weigert sich beharrlich, eine unabhängige Kommission einzusetzen, die eine Serie von Mordfällen im Stile der Todesschwadrone untersuchen und allfällige Querverbindungen zu rechtsextremen Wirtschaftsbossen aufspüren soll.

„Die Regierung Cristiani besitzt weder die Glaubwürdigkeit noch den Willen oder die Macht, eine ernsthafte Untersuchung der Todesschwadrone durchzuführen, da die staatlichen Untersuchungsorgane nicht imstande waren, auch nur einen einzigen Hintermann dieser Gruppen vor Gericht zu bringen“, heißt es in einem zum 19. Fastentag veröffentlichten Kommuniqué. Deswegen „setzen wir unsere Fastenaktion fort, bis eine unabhängige und glaubwürdige Instanz zur Untersuchung der Todesschwadrone geschaffen wird“.

Nach dem Mord an den ehemaligen Guerilla-Comandantes der FMLN Francisco Velis und Heleno Castro Ende Oktober wurden Anfang November mit Manuel Acevedo und Remberto Lopez zwei weitere FMLN-Aktivisten zuerst verschleppt und dann tot aufgefunden. Bei der FMLN herrscht seither Alarmstimmung. Denn es scheint, daß die extreme Rechte nur die Auflösung der militärischen Strukturen der ehemaligen Guerilla abgewartet hat, um einen schmutzigen Krieg zu entfesseln.

Der UNO-Sonderbeauftragte Marrack Goulding, der immer in El Salvador auftaucht, wenn der Friedensprozeß gefährdet ist, traf kurz nach den Morden ein und befaßte sich eine Woche lang in seinen Gesprächen mit salvadorianischen Politikern praktisch ausschließlich mit dem Problem der paramilitärischen Banden. Goulding dürfte der Regierung nur mit großer Mühe das Zugeständnis abgerungen haben, einen Ausschuß zur Untersuchung der Schwadrone einzusetzen. Allerdings will sie die Untersuchungen ihren eigenen Leuten übertragen. Denn Cristiani steht auf dem Standpunkt, daß alle Verbrechen des letzten Jahrzehnts durch eine Amnestie gedeckt seien. Bei den jüngsten Morden handle es sich um gemeine Verbrechen, so Cristiani.

Die Freigabe einer Serie bisher vertraulicher Dokumente der US- Geheimdienste, die unter anderen den amtierenden Vizepräsidenten Francisco Merino und den Präsidentschaftskandidaten der regierenden „Arena“, Armando Calderon Sol, mit den Todesschwadronen in Verbindung bringen, sieht die Regierung als heimtückische Einmischung der USA in den Wahlkampf. Der begann am 20. November mit einer publizistischen Generaloffensive. Die rechte Arena, die von schwerreichen Unternehmerfamilien finanziert wird, versucht in einer Materialschlacht die politischen Themen zu ersticken. Gleich am ersten Tag gab sie mit sechs farbigen Propagandaseiten in allen Zeitungen und fast halbstündigen Sendungen im Fernsehen einen Takt vor, bei dem keine andere Partei mitziehen kann.

Die Basis der FMLN, die ehemaligen Kämpfer, die politischen Aktivisten, die sich im Wahlkampf besonders exponieren müssen, geben sich mit Versprechungen nicht zufrieden. Sie fordern die sofortige Erfüllung aller Punkte des Friedensabkommens, die noch offen sind oder unzureichend umgesetzt wurden. Die Fastenaktion entspringt diesem Unbehagen der Parteiaktivisten. Neben der Auflösung der Todesschwadrone verlangen sie eine Säuberung der neuen Zivilpolizei (PNC) von Offizieren mit repressiver Vergangenheit, die beschleunigte Ablösung der alten Nationalpolizei durch die PNC, den Rücktritt der Richter des Obersten Gerichtshofes und die Beschleunigung der Landverteilung an ehemalige FMLN- Kämpfer und Soldaten. Alles Punkte, die auch auf der Agenda des UN-Beauftragen Goulding stehen.

Zu der Gruppe, die in Chalatenango fastet, ist inzwischen auch Lorena Peña, alias Rebeca Palacios von der Politischen Kommission der FMLN gestoßen. Jeden Tag kommen Lkw mit Delegationen von manchmal über fünfzig Leuten aus den verschiedenen Gemeinden Chalatenangos, die während des Krieges als von der Guerilla kontrolliertes Gebiet galten. Die Besucher fasten dann einen Tag mit. Auch in anderen Landesteilen blieben Unterstützungsaktionen nicht aus. Von den fünf angeschriebenen EG-Botschaftern kam lediglich der spanische Missionschef nach Chalatenango. Selbst die UNO-Beobachtermission ONUSAL schickte eine Delegation, die im Hubschrauber und mit einer persönlichen Botschaft von Marrack Goulding einflog.

Die meisten Aktionen waren bis zum 15. November begrenzt gewesen und wurden nach einer Mahnwache in der Jesuiten-Universität UCA und einem Marsch von über 10.000 Demonstranten durch San Salvador abgebrochen. Doch die Kerngruppe in Chalatenango fastet weiter. Obwohl viele nach mehr als drei Wochen ohne Nahrungsaufnahme bereits stark geschwächt sind und die FMLN-Führung zur Einstellung des Streiks rät, wollen sie das Fasten erst beenden, wenn die Maßnahmen gegen die Todesschwadrone konkret werden. Inzwischen ist die Permanente Kommission für den Nationalen Dialog (CPDN), ein FMLN- freundlicher Zusammenschluß von kirchlichen und Volksbewegungen, auf den Zug aufgesprungen und organisiert eine Serie von Märschen und anderen Aktionen, die am 10. Dezember in einer Menschenkette durch San Salvador gipfeln sollen.

Ein Bombenattentat gegen das Diario de Hoy, die reaktionäre Zeitung der Oligarchie, und Drohungen ehemaliger FMLN-Kämpfer gegen die mutmaßlichen Sponsoren der Todesschwadrone sind Konsequenzen der Wut und Machtlosigkeit der ehemaligen Guerilleros. Joaquin Villalobos, einer der fünf obersten Comandantes der ehemaligen Guerilla, distanzierte sich zumindest nicht von solchen Aktionen: „Ich werde unseren Leuten nicht sagen, was sie tun sollen, aber auch nicht, was sie unterlassen sollen.“

Der rechtsextreme Kaffeebaron Orlando de Sola, den Villalobos am Grab des im Oktober ermordeten Heleno Castro der Anstiftung zum Mord und der Finanzierung von Todesschwadronen bezichtigt hatte, ist inzwischen vor Gericht gezogen und hat den ehemaligen FMLN-Comandante der Verleumdung beschuldigt. Darauf stehen in El Salvador sechs Monate bis drei Jahre.

Da der Oberste Gerichtshof noch fest in der Hand von Ultrarechten ist, deren Rücktritt die sogenannte Wahrheitskommission wegen systematischer Verschleierung von Verbrechen gefordert hat, dürfte der Verurteilung Villalobos' nichts im Wege stehen.

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