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Oslo: Ziviler Ungehorsam rettet Flüchtlinge vor der Abschiebung

■ Asylanträge von Kosovo-Albanern werden neu geprüft

Oslo (taz) – Die meisten der etwa 650 kosovo-albanischen Flüchtlinge, die in den letzten Monaten in über 130 norwegischen Kirchen Unterschlupf gefunden hatten, um ihrer Ausweisung zu entgehen, konnten am Wochenende ihr Kirchenasyl verlassen. Die Regierung in Oslo sagte eine neue individuelle Prüfung ihrer Asylanträge zu und garantierte ihnen bis dahin einen sicheren Aufenthalt in den Flüchtlingsunterkünften im Lande. Die umfangreichste Aktion zivilen Ungehorsams im Norwegen der Nachkriegszeit wurde so mit Erfolg abgeschlossen. Zumindest zunächst.

Die Wende in der monatelangen sturen Haltung der Regierung war dem wachsenden Druck der Öffentlichkeit geschuldet, gegenüber dieser Flüchtlingsgruppe weniger restriktiv zu verfahren. Vor allem angesichts der weiter verschärften Lage für die albanische Minderheit im Kosovo. Von verschiedenen Seiten war der sozialdemokratischen Regierung Brundtland der Vorwurf gemacht worden, nahezu mit gleicher Begründung die kosovo-albanischen Flüchtlinge abzulehnen, wie in den dreißiger Jahren die norwegischen Grenzen gegenüber jüdischen Flüchtlingen aus Nazideutschland dichtgemacht worden waren: „Deutschland ist für Juden ein sicherer Staat zum Leben“, hieß es damals offiziell.

Justizministerin Grete Faremo begründete den Meinungswechsel der Regierung mit den „menschlichen Problemen“ der Kosovo-AlbanerInnen im Kirchenasyl. Vor allem wegen der Kinder – fast die Hälfte der Flüchtlinge waren Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Die Flüchtlinge hatten sich zum Teil seit über acht Monaten in Kirchen aufgehalten, nachdem die norwegische Regierung die Asylanträge von Kosovo-AlbanerInnen pauschal abgelehnt hatte. Die Begründung: AlbanerInnen seien im Kosovo keiner asylrechtlich relevanten Verfolgung ausgesetzt. Die Bischöfe der protestantischen Staatskirche waren zuletzt auf deutliche Distanz zur Institituion Kirchenasyl gegangen. Auf ihrer jüngsten Bischofskonferenz signalisierten sie Verständnis für den Fall, daß die Polizei das Kirchenasyl in Einzelfällen nicht mehr respektiere. In Oslo hatten Polizeistreifen mehrfach Flüchtlingen vor Kirchentüren aufgelauert. Noch letzten Freitag, einen Tag vor Inkrafttreten der neuen Linie der Regierung, hatte die Polizei 28 Flüchtlinge vor den Kirchen verhaftet, die von der Neuregelung gehört hatten, aber nicht verstanden, daß diese erst ab Samstag in Kraft treten sollte.

Im Gegensatz zur Führung der Staatskirche hatten nicht nur die meisten Gemeinden, sondern auch die verschiedenen Freikirchen auf dem Kirchenasyl bestanden. Einige Freikirchen forderten die Flüchtlinge auf, dem Angebot der Regierung mit Mißtrauen zu begegnen und ihren Kirchenaufenthalt fortzusetzen: Möglicherweise wolle die Regierung nach einer formalen Neuentscheidung mit anschließender Ablehnung Schnellabschiebungen organisieren und eine neue Fluchtbewegung in die Kirchen verhindern. Auch rechne man wohl in Oslo damit, daß nach erneuter Ablehnung der Asylanträge vermutlich eine geringere Bereitschaft der Kirchengemeinden bestehe, sich für die Flüchtlinge zu engagieren. Verschiedene Unterstützungsgruppen sind ähnlich mißtrauisch, was die Absicht der Osloer Regierung mit ihrem neuen Schritt angeht: Sie wollen weiterarbeiten und die Türen ihrer Kirchen auch in Zukunft offenhalten. Die Kirche als Raum, in dem der Staat nichts verloren hat, ist eine Einrichtung, die weit vor unsere Zeit zurückreicht, sich aber in nahezu allen Religionsgemeinschaften erhalten hat. Eine solche „Freistatt“ gab es bereits im frühen Judentum, wo es regelrechte Asyldörfer gab, in denen Menschen Schutz vor Verfolgung und Blutrache fanden. Das Christentum übernahm dieses Privileg. Wer Kirchenasyl erhielt, konnte auf Verschnaufpause rechnen, der Bischof nahm sein Recht auf intercesso (Unterbrechung) wahr. Er konnte fordern, daß ein zum Tode Verurteilter weder in die Kirche hinein verfolgt noch ihm unmittelbar beim Verlassen der Kirche aufgelauert werden durfte. Reinhard Wolff

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