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Unterm Häubchen versteckt

■ Das neue „Plattdeutsche Ensemble Bremen“ mit „Marie Christine“ im Schauspielhaus: Hauptsache vergnüglich

Eine Schriftstellerin des 19. Jahrhunderts, eine, die sich in die männerdominierte Politik vorwagte und sich für die Armen stark machte, eine, die mit ihrer Freundin zusammenlebte: Schon der nüchterne Lebenslauf der Bremerin Marie Christine Mindermann macht neugierig auf eine außergewöhnliche Frau, die wie viele dem Vergessen anheimgegeben wurde. Da fügt es sich geradezu, daß das neue Plattdeutsche Ensemble Bremen – nicht nur sprachlich traditionsbewußt – Marie Christine hervorgeholt und als erste eigene Tat auf die Bühne des Schauspielhauses gebracht hat. Dort jedoch kam vor lauter Vergnüglichkeit ausgerechnet die Hauptfigur kaum zum Vorschein.

Das „etwas bessere Plattdeutsche Theater“ hatte das Ensemble angekündigt, „unterhaltend“, ja, und zugleich „anspruchsvoll“. Anders als im Ernst-Waldau-Theater, aus dem sich die Mitglieder der Crew im Lauf der Jahre im Zorn entfernt hatten. Zum Beginn des zeitgemäßen Volkstheaters zog man denn auch ins Schauspielhaus; dem preisgekrönten plattdeutschen Theaterautor Ingo Sax hatte man den Auftrag für ein „Bremer Stück“ erteilt. Und der entdeckte Marie Christine Mindermann.

Was aber macht der Bühnenbildner Georg Suhr? Er setzt uns in die typische altbremische Puppenküche, in das gekachelte Pendant der hölzernen Stadelstuben. Vor viel Rosa, Weiß und Blau tummeln sich dort um Marie Christine einfach gestrickte Charaktere wie die ungebildete, doch schlaue Köchin Bertha (Edda Loges), der naive Pastor (Burckhard Göbel) oder der ruhmesgeile Assessor Vanderbeeken (Folkert Arend). Schnell ist klar, wer wem was will. Nichts stößt ab, nichts zieht an, alles schaukelt locker und leicht dahin und fort.

Was zu der Zeit (1851) draußen in Bremen vorgeht, wird immer bloß am Küchentisch erzählt. Volkes Aufruhr und Demokratiebewegung können da nur aus zweiter Hand ergreifen. Daß sie Marie Christine dazu bewegen, von ihren Wald- und Wiesengedichten abzulassen und politische Schmähschriften zu verfassen, ist nirgends zu finden, am allerwenigsten in der Rolle selbst. Elfie Schrodt spielte den ganzen Abend lang so zurückhaltend, ja unbewegt, daß sie kaum zu faszinieren vermochte. Eine innere Entwicklung war ihr schon gar nicht anzumerken.

„Die Tiden sind hart“ - und frankophon. Köchin Bertas immer wiederkehrendes „toute de suite“, die charmanten kleinen Mißverständnisse und Gags muntern wahrlich auf. Und lenken andererseits von einer Frau ab, die doch gerade dem allgemeinen Geplänkel entgegengehandelt hat.

Als nicht ernstzunehmende Frau in den Wechseljahren wurde sie wegen ihres Pamphlets vor Gericht diffamiert, saß acht Tage in der Ostertorwache ein, erhielt Schreibverbot, wurde politisch mundtot gemacht.

Autor Ingo Sax aber scheint sich auf der Gratwanderung zwischen Dichtung und Wahrheit an Marie Christine vorbeigeschrieben zu haben. Und das Plattdeutsche Ensemble Bremen? Zeigte unter der Regie Werner Michaelsens viel Plätscherndes. Marie Christine Mindermann blieb unter Rüschen, Häubchen und Reifröcken verborgen. Dem plattdütschen Publikum gefiel's. Silvia Plahl

Nächste Aufführung: 25.11., 20 Uhr, im Schauspielhaus

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