: „Hohe kriminelle Energie“
Das frühere RAF-Mitglied Rolf Clemens Wagner wird vom Frankfurter Oberlandesgericht wegen des Haig-Anschlages zu 12 Jahren verurteilt – die Gesamtstrafe heißt aber lebenslänglich ■ Von Heide Platen
Das frühere RAF-Mitglied Rolf Clemens Wagner ist gestern vom Oberlandesgericht Frankfurt wegen des gescheiterten Bombenanschlags auf Nato-Oberbefehlshaber Alexander Haig 1979 zu einer Einzelstrafe von zwölf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Weil das Gericht das gestrige Urteil mit einer bereits 1987 verhängten lebenslangen Haftstrafe im Zusammenhang mit der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer zusammenzog, heißt das Gesamturteil aber wiederum „lebenslänglich“.
Die Richter hielten es für erwiesen, daß Wagner im Juni 1979 auf einer Straße in Belgien eine Zehn- Kilogramm-Bombe zündete, die Haig töten sollte. Drei Begleiter von Haig waren bei dem Anschlag leicht verletzt worden. Das Gericht stützte sich vor allem auf die Aussagen von RAF-Aussteigern, darunter Werner Lotze als Kronzeuge. „Die Tat zeichnet sich durch hohe kriminelle Energie aus“, erklärte Richter Adam. Es sei eine heimtückische Tat aus niedrigen Beweggründen gewesen. Für die niedrige Strafe von 12 Jahren für den dreifachen Mordversuch und die Sprengstoffexplosion sei entscheidend gewesen, daß niemand ernsthaft verletzt worden sei. Richter Adam stellte außerdem die besondere Schwere der Schuld fest. Daran lag insbesondere der Bundesanwaltschaft, weil dieser Punkt wichtig werden kann, wenn einmal über die Aussetzung der Haft bei lebenslänglich beschlossen wird.
Bundesanwalt Bell hatte es in seinem Plädoyer in der vergangenen Woche noch einmal deutlich gesagt. Seit das Bundesverfassungsgericht entschied, daß das Urteil „lebenslänglich“ sich – außer in besonders schweren Fällen – auf 15 Jahre beschränken solle, seien er und sein Amt in der Bredouille. Als „angemessene Strafe“ für die Anschläge der RAF seien 15 Jahre entschieden zu wenig, zumal „solche Taten mit Recht nicht verjähren“: „Daher kommt es, daß wir so viele schulderschwerende Fakten sammeln.“ Damit war die Marschrichtung im Dickicht der zahlreichen RAF-Prozesse der vergangenen drei Jahre auch für Rolf Clemens Wagner vorgezeichnet. Er wird es, ebenso wie andere Nichtgeständige aus der „Alten Garde“ der RAF, nicht erleben, daß die Bundesanwaltschaft ihm jenes Verständnis entgegenbringt, dessen die aussagewilligen ehemaligen MitstreiterInnen teilhaftig wurden, die in Frankfurt und anderswo in den Zeugenstand traten.
Sie alle lebten als RAF-Aussteiger in den Plattenbauten der ehemaligen DDR. Sie alle sind inzwischen nach ihren Geständnissen zu bis zu 12 Jahren Haft verurteilt. Ob sie für ihre Aussagen Versprechungen auf Strafminderung erhielten, blieb in diesem Verfahren seltsam im dunkeln. Die Gedächtnislücken sind eklatant. Es hat, soviel steht fest, „Gespräche im Vorfeld“ mit ihnen, mit Verwandten und Rechtsanwälten gegeben.
Ralf Baptist Friedrich, wegen der Beschaffung des Sprengstoffs für das Haig-Attentat zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt, erschien als Hafturlauber vor Gericht. Bei zwei Vorgesprächen in Berlin und Mainz und während seiner Aussage im Sommer 1990 im Haus der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe sei über die „Kronzeugenregelung“ eigentlich nicht gesprochen worden. Die Treffen waren seiner marginalen Erinnerung nach kurz. In einem Wiesbadener Café habe er den Verfassungsschützer mit dem Decknamen „Benz“, der in seiner Behörde für das „Aussteigerprogramm“ zuständig war, nur „fünf bis zehn Minuten“ gesprochen. Der habe ihm die Kronzeugenregelung „erläutert“.
Rechtsanwältin Krause wollte es immer wieder genau wissen. Hat „Benz“ das Gesetzeswerk mitgebracht, ihm daraus vorgelesen? Worin bestand die „Erläuterung“? Am liebsten möchte sie die Szene aus dem Caféhaus im Gerichtssaal nachspielen lassen. Daß Friedrich damals unter Druck stand, weil seine Ehefrau, Sigrid Sternebeck, bereits verhaftet war, er selbst damit rechnete, sei nachzuvollziehen. Daß ein solches existentielles Gespräch, dem nebulösen Vergessen anheimfiel, mag sie nicht glauben.
„Benz“ sagte unter Ausschluß der Öffentlichkeit aus, Friedrich habe sich im Caféhaus in Mainz ungefähr eine Stunde mit ihm unterhalten.
Friedrich, der in seinem eigenen Verfahren als „Diplomat“ der RAF apostrophiert worden war, der nach der Ermordung Schleyers für die RAF Kontakte zu französischenn Politikern und Künstlern gehalten habe, ist blaß, still und leise. Er murmelt meist vor sich hin. Ärgerlich wird er nur, als die insistente Verteidigerin Krause ihn fragt, ob er denn überhaupt gewußt habe, was eigentlich in der Kronzeugenregelung stehe? Er antwortet trotzig: „Da steht doch drin, daß man dann weniger kriegt.“ – Am schwersten ist Rolf Clemens Wagner von Werner Lotze belastet worden, der sehr konkret aussagte. Er berichtete, er habe das Attentat seinerzeit zusammen mit Wagner ausgeführt. Sie seien gemeinsam auf dem Motorrad zum Tatort gefahren, er selbst habe ihm über Funk Uhrzeit, Route und Zusammensetzung des Haig-Konvois übermittelt, Wagner habe dann den Zünder ausgelöst. Lotze, der seine Beteiligung am Haig-Attentat, Polizistenmord und zwei Banküberfälle gestanden hatte, war im Januar 1991 vom bayerischen Obersten Landesgericht zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er war der erste Angeklagte aus der RAF, bei dem nicht nur die Verteidigung, sondern auch die Bundesanwaltschaft das inzwischen rechtskräftige Urteil als zu hoch anfocht. Die Münchner Richter hatten Lotze mit Blick auf die Kronzeugenregelung und in kritischer Abgrenzung zum möglicherweise erhofften Strafrabatt lediglich bescheinigt, „historisch interessante“ Aufklärung geleistet zu haben. Ein „klassischer Kronzeuge“ sei er nicht gewesen.
Wagner sitzt seit 14 Jahren, weil er für schuldig befunden wurde, per Telefon mit der Familie Schleyer Verhandlungen um die Übergabe des Lösegeldes geführt und ein Flugticket besorgt zu haben. Ein Tonband zum Stimmenvergleich, das die Anklage noch 1985 stützte, durfte in einer Wiederholungsverhandlung 1987 nicht mehr als Beweismittel verwendet werden, weil es heimlich im Gefängnis aufgenommen worden war. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht kam auch ohne Tonbandvergleich aus. Es wertete Wagners „höfliche Umgangsformen“ als überführend, auch wenn es „keine greifbaren Anhaltspunkte“ für dessen direkte Tatbeteiligung gebe. Einige Zeugen hatten allerdings beim Stimmenvergleich 1985 statt Wagner den jetzt als „Diplomaten“ apostrophierten Friedrich als Telefonisten indentifiziert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen