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Mit der Gießkanne in der Wüste

■ Vorlesungszyklus zur „Krise der Universität“ ist der verzweifelte Versuch, Ansprüche zu wecken / Uni mit Rückgriff auf humanistischen Bildungsbegriff retten

„Gerade in wüstenhafter Zeit muß man Gießkannen schleppen.“ Mit diesem Satz kündigte Wolf- Dieter Narr, Politikprofessor, am Beginn dieses Wintersemesters seine Universitätsvorlesung zu einem eigentlich höchst aktuellen Thema an: „Die Krise der Universität“. Illusionen, mit dieser Vorlesung eine große Debatte anregen zu können, hat er sich von Anfang an keine gemacht. Trotz des allfälligen Geredes über die Krise der Universität: Die große Debatte gibt es nicht. Mehr noch: Es gibt offenbar – selbst in der Universität, selbst bei denen, die sich mal wieder mit diversen Aktionen gegen diese Zustände wehren wollen, den Studenten – kaum einen Bedarf, die oberflächliche Diskussion zu vertiefen. Wie sonst kann es sein, daß der Hörsaal 2 der Freien Universität dienstags zwischen 18 und 20 Uhr derart leer ist: daß sich kaum mehr als 20 Hörerinnen dafür interessieren, wie der Herr die Gießkannen schleppt, um die öde bildungspolitische Diskussion zu sprengen? Die Resonanz auf seine Vorlesung hat seine Einschätzung von der wüstenhaften Zeit in vollem Umfang bestätigt.

Narrs Anliegen ist es, daß die Krise der Universität überhaupt erst begriffen wird. Die Symptome der Krise sind allgemein bekannt, immer wieder werden sie benannt: die ausufernde Massenuniversität, ihre Bürokratisierung, die hohe Zahl von Studienabbrechern, die langen Studienzeiten. „Die Massenuniversität, wie sie jetzt besteht, ist ein massives Problem“, sagt auch Narr. Er wendet sich jedoch entschieden dagegen, nur die Symptome wahrzunehmen, infolgedessen nur an den Symptomen herumzudoktern. Um die Krise wirklich zu begreifen, ist es nach seiner Ansicht nötig, den Bildungs- und Wissenschaftsbegriff neu zu überdenken und von dort aus zu fragen, wie denn die Universität, das Bildungssystem neu zu gestalten seien.

Narr steigt daher hinab in die Tiefen der (vorwiegend) deutschen Bildungsgeschichte – allerdings nicht, um sie schlicht zu rekapitulieren. Ihm geht es darum, klarzumachen, daß das Bildungs- und Universitätsideal Wilhelm von Humboldts, auf das sich die Vertreter der deutschen Universität bis heute gern berufen, zu keiner Zeit realisiert worden ist. Die Vorstellung von der Universität, in der die Nachwachsenden innerhalb einer Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden zu reifen Menschen mit selbsttätigem Intellekt „gebildet“ werden, basierte auf einer naiven Vorstellung vom Staat. Der hatte eben kein Interesse daran, daß die von ihm ausgehaltenen Universitäten nicht Staatsbürger, sondern freie, unabhängig denkende Menschen ausbildeten. Dennoch greift Narr den neuhumanistischen Bildungsberiff jener Zeit um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert auf, um einen Ausgangspunkt zu bestimmen, von dem aus er die heutige Krise der Universität zu beschreiben versucht. „Insofern gehe ich eindeutig wertkonservativ vor“, bekennt er, der vor zwei Jahrzehnten einer der engagiertesten unter den radikalen fortschrittlichen Assistenten gewesen war. Doch er ist kein biederer Wertkonservativer geworden, sondern sieht gerade im Rückgriff auf die Werte der neuhumanistischen Aufklärer ein Potential radikaler Kritik an den herrschenden Zuständen innerhalb der Universität.

Indes: Welchen Sinn macht das, wenn nicht einmal Humboldt seine Vorstellungen in die Tat umzusetzen vermochte? „Dies ist die Verlegenheit, in der ich stecke“, gesteht Narr ein, „wie kann man vernünftigerweise an der Idee der Universität festhalten, wenn es sie so materiell nie gegeben hat und es sehr unwahrscheinlich ist, daß es sie je geben wird?“ Seine Antwort darauf führt zum Kern seiner Motivation, „in wüstenhafter Zeit“ Auswege aus der Krise der Universität zu suchen, zumindest zu denken. Er will zeigen, daß trotz allem die Idee einer Universität, die freie Menschen bildet und in der es allen Spezialisierungen zum Trotz einen Zusammenhang der Wissenschaften gibt, eine gemeinsame Wahrheitssuche (die zum Beispiel die seit 150 Jahren so gefährlich vorschnelle technische Anwendung wissenschaftlicher Detailerkenntnisse verbietet): daß eine solche Idee der Universität durchaus eine Möglichkeit darstellt und eigentlich sogar eine Notwendigkeit.

Von diesem Standpunkt aus nimmt Narr die Zustände der Universität heute ins Visier: die Beliebigkeit des Lehrprogramms, das die Dozenten den Studierenden vorsetzen; die antiquierten Lehr- und Lernformen, die den Bedingungen der Massenuniversität längst nicht mehr entsprechen; die völlige Beliebigkeit dessen, was ein Professor zu forschen gedenkt. („Wir forschen, als ob es uns die Sonne eingibt oder der Regen oder die Gelder oder was.“)

Narrs Reflexion der Krise der Universität ist der bisweilen verzweifelte Versuch, den Beteiligten der Universität, voran den Studierenden, aufzuzeigen, welche Ansprüche sie eigentlich an diese Institution stellen könnten. Die studentischen Streiks 1988/89 und die Aktionen von heute wirken nicht zuletzt deshalb so hilf- und perspektivlos, weil ein Bewußtsein um solche Ansprüche praktisch nicht existiert. Sieht man die minimale Reaktion auf diese Universitätsvorlesung, so scheint nicht einmal das Interesse daran, sie kennenzulernen, groß zu sein. Winfried Sträter

Die Vorlesung findet statt: dienstags, 18 bis 20 Uhr, Hörsaal 2, Rostlaube, FU.

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