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Farbenfrohe Rezepte

Europäische Kommission verbiegt beschäftigungspolitische Leitlinien zum Fragezeichen  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Ein Sprecher der Europäischen Kommission hatte schon im Vorfeld versucht, die Erwartungen etwas zu dämpfen: „Die Kommission hat ihre Überlegungen zu diesem Werk noch nicht abgeschlossen.“ Die Rede ist vom Weißbuch der Europäischen Union zu Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung in Europa, genauer: von einer vierseitigen Zusammenfassung desselben, die in dieser Woche in Brüssel vorgelegt wurde.

Das Weißbuch selbst soll pünktlich zum Gipfeltreffen der EU-Regierungschefs am 10. und 11. Dezember erscheinen. Es soll Leitlinien und Empfehlungen an die Mitgliedsländer auflisten, wie Rezession und Arbeitslosigkeit gemeinsam bekämpft werden können. Vor allem soll es deutlich machen, daß die Europäische Union nicht nur einheitliche Normen für Weichkäse und Kondome aufstellt, sondern sich den wirklichen Problemen stellt, die den Bürgern auf den Nägeln brennen.

Aber die Auseinandersetzungen um die Kurzfassung beleuchten, welche Schwierigkeiten es machen kann, wenn die europäische Zentralbehörde Kommission Vorschläge so formulieren muß, daß die zwölf Mitgliedsregierungen ihnen zustimmen können.

Noch vor elf Tagen war die Zusammenfassung der Kommission elf Seiten lang gewesen und hatte ein paar prägnante Zahlen enthalten. Dann aber beugten sich die zwölf Finanzminister über das Papier, sagten zwölfmal: So nicht! – und jetzt hat das Dossier noch 4 Seiten und außer ein paar vagen Empfehlungen nur altbekannte Einschätzungen der allgemeinen wirtschaftlichen Misere.

Das ursprünglich angepeilte Ziel, bis zum Jahr 2000 rund 15 Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen und dadurch die Arbeitslosigkeit in der Europäischen Union zu halbieren, wurde durch einige „vielleicht“ und „wenn möglich“ aufgeweicht. Die Regierungen, vor allem in Deutschland, befürchten nicht ganz zu Unrecht, die Union könnte in sieben Jahren an dieser Zielmarke gemessen werden und dann vielleicht nicht so gut aussehen.

Interessanter ist ohnehin, wie das Ziel der Arbeitsplatzschaffung, egal ob hart oder weich formuliert, erreicht werden soll. Die ursprünglich einmal vom Kommissionspräsidenten Jacques Delors geforderten milliardenschweren Kreditprogramme für zusätzliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und zur Förderung der Neubeschäftigung gehörten zu den Punkten, die von den zwölf Finanzministern bereits vor der Veröffentlichung des ersten Entwurfes in großer Eintracht gekippt wurden.

Auch bei der Steuerpolitik machten die nationalen Kassenchefs klar, daß das nicht in den Kompetenzbereich der Europäischen Union falle. Die Kommission hat diesen Einwänden inzwischen Rechnung getragen. Dem Weißbuch legte sie eine Lesehilfe bei, daß es sich dabei weder um ein Gesetzgebungsprogramm wie beim Weißbuch 1985 handele, noch daß die Kommission mit dem Dossier beabsichtige, für die EU eine Ausweitung der Kompetenzen zu fordern.

Übriggeblieben ist ein Sammelsurium wirtschaftspolitischer Empfehlungen, das über weite Strecken an die äußerst konservative Standortdiskussion in Deutschland erinnert, andererseits aber auch wieder deutlich sozialistische Elemente aufgreift.

Thatcheristische Forderungen nach Abschaffung der Mindestlöhne, zeitweisem Lohnstopp in bestimmten Bereichen, schnellstmöglicher Liberalisierung beispielsweise der Telekommunikationsmärkte und strikter Inflationsbekämpfung stehen da mitunter reichlich unvermittelt neben Vorschlägen aus einem völlig anderen wirtschaftspolitischen Instrumentenkasten. Dazu gehören Zinssenkungen, Arbeitszeitverkürzung, staatliche Beschäftigungsförderung und die Besteuerung von Kapital statt Arbeit.

Da für jeden etwas dabei ist, könnten doch eigentlich alle zufrieden sein. Das Problem ist nur, daß die bunten Leitlinien des Weißbuchs ein Ausdruck für die Schwierigkeiten sind, die zwölf nationalen Wirtschaftspolitiken so zusammenzuführen, wie das für die geplante Wirtschafts- und Währungsunion notwendig wäre.

Immerhin hat das Bemühen, zwölf nationale Wirtschaftsphilosophien zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit unter einen Hut zu bringen, die unterschiedlichen Positionen auf zwei Hauptforderungen reduziert: auf der einen Seite die Stärkung der europäischen Wettbewerbsposition durch Senkung von Löhnen und Lohnnebenkosten, auf der anderen Seite Erhalt und Ausbau der Sozialsysteme in den Mitgliedsländern der Europäischen Union.

Die eigentlich spannende Frage, nämlich mit welcher Wirtschaftspolitik beides erreicht werden kann, läßt die Europäische Kommission bisher offen.

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