: „Mich interessiert das Forschen“
■ Heute: Klemens Wannenmacher, Dramaturg und „Scout“ der Kulturfabrik Kampnagel
Es begann 1967. Im Kurhaus von Borkum wird eine Theatervorstellung gegeben und er, gerade acht Jahre alt, spielt die Hauptrolle. An das Stück kann er sich nicht mehr erinnern, weil er sich während der Aufführung zu Tode genierte. Trotzdem steht er am nächsten Sonntag wieder auf der Bühne: neben seinen Brüdern, Beatles-Lieder singend. Klemens Wannenmacher, soviel steht fest, ist ein Mann der Praxis. Auch wenn er seine Künstlerambitionen in den 70ern erstmal auf Eis legt und brav in Bielefeld zur Schule geht; die ersten Theaterworkshops folgen, und kurz darauf zieht er mit einem Straßentheater als Feuerschlucker durch Europa. Als er Anfang der 80er zum legendären Festival of Fools nach Amsterdam fährt, ist er vollends entflammt: fürs Theater und die virulente Stadt.
Bis heute leistet sich Klemens Wannenmacher einen gepflegten holländischen Akzent, obwohl er bereits seit vier Jahren wieder in Deutschland lebt. Zuvor hatte er an einem Theaterprojekt im Rotterdamer Knast gearbeitet und in Amsterdam Regie studiert. Seine Diplomarbeit inszenierte er zufällig am Werk Theater, an dem Hans Man in't Veld künstlerischer Leiter war. „Als ich hörte, daß der nach Kampnagel geht, war mein Pioniergeist geweckt. Kampnagel - das klang nach einem sehr politischen Ort, einem sehr rauhen Ort, von unten aufgebaut.“ Ästhetisch war man hier allerdings, so der einhellige Befund von Wannenmacher und Man in't Veld, weit hinter niederländischer und belgischer Entwicklung zurück. „Ich dachte zum Teil, hier sei die Zeit stehen geblieben: vom Kindertheater der Pädagogen bis hin zur Gruppe Babylon.“ Hans und Klemens begannen aufzuräumen. „Was wir versucht haben, war Professionalisierung und Quali-tätssteigerung. Ich hatte das Gefühl, das war bitter nötig. Obwohl so ein Gelände durch Strukturen, die in feste Bahnen lenken, natürlich auch verliert, weil es ja fast geschaffen ist für eine immer fortschreitende Radikalität.“ Wenn beide am Ende der Spielzeit Hamburg verlassen, so ist Wannenmacher sicher, wird ihre Arbeit als „absolute Konsolidierung“ in die Geschichte der Kulturfabrik eingehen. Seinen Pioniergeist hat der 34jährige aber nicht aufgegeben. Er ist derjenige, der für Kampnagel „scoutet“, das heißt herumfährt, um interessante Projekte zu sehen und zu Gastspielen einzuladen. Dabei ist er auf der Suche nach Leuten, die selber suchen: „Mich interessiert das Forschen, das Genre-übergreifende Arbeiten.“ Tanztheaterwochen und Dance Port hat er initiiert und realisiert, ein Performance-Festival steht seit drei Jahren auf dem Papier und wartet auf das nötige Kleingeld. Sein großer Traum aber wäre eine totale Geländeinszenierung, „ohne Grenzen zwischen bildender Kunst, Jugendtheater und dem Rest“. Und selbstverständlich ohne nationale Grenzen: „Ich wünschte mir ein 'Artist in Residence'-Konzept: Künstler kommen aus dem Ausland, bringen Leute mit, suchen andere in Hamburg dazu und arbeiten zu einem bestimmten Thema ein paar Monate. Das ganze Gelände sollte beprobt werden. Es würde erst mal Ruhe herrschen - die Ruhe vor dem Sturm. So schafft man Ereignisse.“
Theater müsse verstörender werden, sagt Wannenmacher und dreht eine weitere Zigarette. Und so notwendig, daß keiner mehr daran vorbei könne. „Es können noch zuviele daran vorbei, das ist das Problem.“ Wohin er geht, wenn er Kampnagel verläßt? Ganz klar, zurück in die Praxis. Faßbinder, Müller und Beckett hat er schon inszeniert. Nun wartet Canettis Macht und Masse darauf, als Performance verpackt zu werden. Christiane Kühl
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