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Verkunstetes Irgendwie- gefühl

„Science and Fiction“ — Das 11. Inter- nationale Film- und Videofestival in Berlin  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Am Mittwoch eröffnete das elfte „interfilm-Festival“, das noch bis zum 28.11. im „Eiszeit“, „Babylon“, „Im Eimer“ und im „fsk“ stattfindet. Die MacherInnen haben ihr Programm in diesem Jahr unter das Motto „Science and Fiction“ gestellt. Ungefähr 80 mehr oder weniger lange Kurzfilme sind in neun Blöcken zu sehen, deren bemühte Anglizismen allerdings unfreiwillig komisch wirken. Bei Titeln wie „Mind Bombs“, Horrorscope of Society“, „Off Climax“, „Sundevils1&Fairyqueens“, „Dead to the future“, „Sex and Search“, „Space Travels“ und logischerweise „The Cyber Complex“ denkt man eher an Philipp-Morris- Future-Asshole-Party als an Low- Budget-Filmfeste. Die Zeit merkwürdiger Love-&-Peace-Utopien auf fremden Planeten, die „Das Himmelsschiff“, der 1917 gedrehte, erste abendfüllende Science-fiction der Filmgeschichte, noch so rührend bemühte, ist längst vorbei.

Wie in der schon etwas abgestandenen Posthistoire nicht anders zu erwarten, wird das Gefühl vom Geschichtsverlust in vielen Festivalfilmen mehr oder weniger unbewußt thematisiert. Meist wird es mit hektischen Schnitten, die jedes Morgen und Gestern ausschließen, gefeiert – oder aber es wird einfach bedauert. Nur wenige der jungen Regisseure arbeiten dabei narrativ. Während in „The Stroke“ (im „Dead to the future“- Programm), einer konventionellen Filmübung aus Kanada, ein Mann aus der Isolation seiner von diversen Kommunikationsgeräten vollgestellten Wohnung nicht mehr zum rettenden Außen findet, das in Gestalt seiner Hippiefreunde winkend vor der Tür steht, wird der Held im Datenanzug aus dem dänischen Vorabendfilm „Al and Virtue“ („Cyber Complex“) ständig von der meckernden Wirklichkeit aus seinen Partnersuchen im Cyberspace aufgeschreckt.

Oft verzichtet man auch gleich auf irgendwie noch motivierte Handlungen. Statt dessen kommt ein verkunstetes modernes Irgendwiegefühl daher, das sich in sauber kindlichen Animationen und Clips zu Emblemen der Jetztzeit aufblähen möchte und sich doch nur an die saubere Ästhetik der Werbebilder anschließen kann. Alles und jedes verwandelt sich zwanglos und geht umwabert von angeberischen industriellen Klängen ineinander über; oft beliebig, immer rhythmisch. Zuweilen eklig, wenn Menschenfleisch zum Material beliebiger Verformungen wird („Ex Memoriam“, „Mind Bombs“), die man genauso langweilig aus den Monty-Python-Strips kennt; mal schön, wenn echte Menschenmassen aus Hongkong immer wieder ins Schwimmbecken springen („Diversion“; „Horrorscope...“) – in jedem Fall MTV-tauglich.

Nur wenige der Festivalfilme erinnern leider noch daran – Torsten Alischs „Der verlorengegangene Charme des Kodak-Geistes“ („Snapshot Research“) ist da eher Ausnahme –, daß fehlendes Budget und Super-8-Format auch ihre Vorteile haben und dem engagierten Filmfreund andere Ausdrucksmöglichkeiten bieten als teure Produktionen.

Doch es gibt auch lustige kleine Filme, die ihre Mittel gekonnt einsetzen. In Jörg Reddemanns angenehm anspruchslosem Zeichentrickfilm „Hin und Weg“ („Space Travels“) landet ein kleines Ufo auf der Erde und sorgt für Verwirrung; „Canned Faith“ („Dead to the future“) von Henning Stöve variiert Christliches – komische kleine Aliens aus der Rappelkiste öffnen eine auf ihrem Planeten gelandete Fischkonserve, kreuzigen den Fisch und beten die leere Dose an.

Am schönsten ist aber der noch zu DDR-Zeiten nach einer Erzählung von Stanislav Lem gedrehte Kurzspielfilm von Stefan Rerda „Bumerang“ („Space Travels“). Der Held, ein teetrinkender Raumfahrer, muß, „allein im All“, „gegen sich selbst bestehen“ und vervielfältigt sich dabei in verschiedenen „Zeitschleifen“ aufs Lustigste. Besonders beeindruckend ist sein aus vielerlei Ofenrohren zusammengestotterter Raumkreuzer.

Neben Klassischem, bemüht Modernem, Konventionellem und Lustigem, neben Vorträgen, Parties und mehr oder weniger trashig flankierenden Beiprogrammen – in dem amerikanischen „Gay Niggers from Outer Space“ beispielsweise schicken die rosa gekleideten schwarzen Alien-Astronauten, die aussehen, als hätten sie zuviel „Superfly“ gesehen, eine Delegation zur Erde, um die Frauen dort auszurotten – fallen zwei Filme wegen ihres Verzichts auf jede Effekthascherei ein bißchen aus dem Rahmen.

In dem recht russisch wirkenden „Cat's Cradle“ („Dead to Future“) variiert die Australierin Liz Hughes in einem sehr schönen Schwarzweiß das Thema Tod und Kino. Ein alter Mann liegt tot in der Küche einer Großfamilie. Man hantiert ein wenig an ihm herum. Seine Leiche wird durch menschenleere Straßen getragen und am Ende ins Kino gesetzt neben eine einsame Zuschauerin. Sein haltloser Kopf kippt ihr an die Schulter. Dann fühlt die sich nicht mehr so allein. „Cat's Cradle“ ist einer der wenigen Filme des Festivalprogramms, der sparsam und sorgfältig eine ganz eigene athmosphärisch dichte Bildsprache entwickelt. Hinter dem Verzicht auf Worte verbirgt sich ausnahmsweise keine zum Zeitgeist aufgeblähte Sprech- und Denkfaulheit.

Ziemlich beeindruckend ist auch ein wohl aus Zuschauerschutzgründen Schwarzweiß gedrehter Dokumentarfilm über die Sektionsabteilung eines Krankenhauses. Andreas Trögers „Path“ („Dead to Future“) zeigt, wie kleine und große tote Menschen mit scharfen Messern aufgeschnitten, ausgenommen, seziert und wieder zusammengesetzt werden. Das Hirn sieht aus wie ein Blumenkohl, in schmalen Scheiben erinnert es an Ananas – und ein totes Sechsmonatskind unterscheidet sich kaum von einem kleinen Frosch. Während ein bärtiger Mediziner mit warmer Stimme aus dem Off erzählt, daß er doch schon manchmal Schwierigkeiten beim Sezieren hätte und anfangs zuweilen weggucken mußte, findet eine toughe Medizinerin, daß man das Leben so nah am Tod doch mehr genießen kann. Daß Frauen pragmatischer sind als Männer, ist normal; seltsam ist jedoch, daß Dokumentaraufnahmen von Schlachthöfen eigentlich viel gruseliger erscheinen.

Die Programmblöcke beginnen im „Eiszeit“ und im „fsk“ jeweils um 18, 20, 22 und 24 Uhr. „Das Himmelsschiff“ läuft am 28.11. um 20 Uhr im „Eiszeit“. Vorträge & Parties: siehe Tagesprogramm

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