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Das Kunstbuch – eine frühe Detektivleistung

■ Von einer Frau gezeugt, von einem Mann geboren – Der britische Kunsthistoriker Francis Haskell rekonstruiert die europäische Kunstgeschichtsschreibung

Der Vortrag des britischen Kunsthistorikers Francis Haskell, „Die schwere Geburt des Kunstbuchs“, der sich zu einem schmalen Buch in der Wagenbach-Reihe „Kleine Kulturwissenschaftliche Bibliothek“ auswuchs, hätte auch die schwierige Geburt eines Kunstbuchs benannt werden können, handelt er doch vornehmlich von einem, 1721 vom Bankier und Kunstkenner Pierre Crozat in Auftrag gegebenen Buch von Reproduktionsdrucken.

Aber was überhaupt ist ein Kunstbuch? Diese, vom Autor eingangs gestellte Frage, bewegte auch einmal die Rezensentin des vorliegenden Bändchens. Auf der Suche nach der Entwicklungsgeschichte des Fotobuches fand sich an den üblichen Fundstellen unter den Stichworten Bilderbuch, Bildband, Kunstband und illustriertes Buch so gut wie nichts. Auch der großartige Monografietitel „Wie das Foto ins Buch kam“ berichtete manches, nur nicht, wie das nun geschah. Insofern mag man das Entzücken der Rezensentin entschuldigen, hier endlich die kleine, feine und fundierte Abhandlung gefunden zu haben, die ein Stück Entstehungsgeschichte des wohl wichtigsten Hilfsmittels kunsthistorischer Lehre und Forschung schildert. Nicht zu vergessen, daß der neue Buchtyp späterhin kommerziell ziemlich erfolgreich war.

Das besagte Buch sollte zunächst nur der Katalogisierung der umfangreichen Kunstsammlung von Werken der italienischen Renaissance und des Frühbarock dienen, welche die Familie Odescalchi an den Herzog von Orlans verkauft hatte. Dieser Typ Veröffentlichung wollte den Fürsten durch seinen Kunstbesitz verherrlichen, diesen aber keineswegs dem interessierten Kunstliebhaber vorstellen. Der bei der Transaktion der Sammlung beteiligte Bankier Pierre Crozat und seine Mitarbeiter, der Comte de Caylus sowie Pierre-Jean Mariette gaben dem Projekt jedoch radikal neue Konturen: Die Blätter sollten nicht wie bisher einzeln verkauft werden, sondern sie sollten in Sammelbänden erscheinen; die Bücher sollten einen Einführungstext zur Kunst des Kupferstichs erhalten; sie sollten biographische Angaben zu den aufgenommenen Künstlern enthalten; eine genaue Beschreibung der Gemälde mit Angaben ihrer Abmessungen und dem verwendeten Malgrund sollten ebenso wie der Herkunftsnachweis umfassend über – inzwischen mehrere – französische Sammlungen informieren.

Damit zeigte es Qualitäten, die noch heute grundlegend für ein Kunstbuch sind. Das Vorhaben, an dem zeitweilig bis zu sechsunddreißig Stecher arbeiteten, zog sich ungebührlich in die Länge und erschöpfte schließlich selbst die großen Geldmittel des Bankiers. Daher wurde es in eine repräsentative Gesamtdarstellung der europäischen Kunst umgewandelt, die man durch Subskriptionen zu finanzieren hoffte.

Haskell macht in seinem Aufsatz deutlich: Über das Medium des Buches erreichten die Herausgeber eine breite, kunstinteressierte Öffentlichkeit; im Zentrum der Aufmerksamkeit standen nun die Kunstwerke selbst, was ein typischer Bestandteil des Buchs belegt – der Text.

Der den Reproduktionsstichen beigesellte Text von Pierre-Jean Mariette, der als der größte Kunstkenner seiner Zeit galt, fragte nicht mehr nach dem Inhalt des Bildes, sondern nach dem Maler und der Art und Weise, wie das Bild gemalt war. Das bedeutete eine neue Sichtweise von Gemälden. Mit der bis heute gültigen Folge, daß Mariette einige Raffael zugeschriebene Werke anderen Malern zusprach. Es ist das pure Lesevergnügen, wie Haskell diese Entwicklung von Techniken zur Identifizierung und Zuschreibung von Kunstwerken als unspektakuläre, durch Stil- und Provenienzvergleich aber grundlegende, frühe Detektivleistung würdigt.

Zum Kunstbuch, das Text und Illustration kombiniert, stellt Haskell zu Beginn seines Aufsatzes übrigens „die kühne These“ auf, daß es schon „gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts konzipiert wurde, als in Padua ein bemerkenswertes, bahnbrechendes Werk erschien, dessen Autorin Charlotte Catherine Patin war ... In diesem Buch wurden an die vierzig Gemälde reproduziert und ausführlich diskutiert.“ Frau Patin allerdings sah ihr Vorhaben gescheitert, wie sie selbst sagte, aufgrund der Schwierigkeiten „ihres Alters, ihres Geschlechts und der Sitten in Italien.“

Mit dieser Quelle liefert Haskell in seinem nur 80 Seiten umfassenden Aufsatz also auch einen Beleg dafür, wie Frauen in der europäischen Kulturgeschichte mit innovativen Ideen auftreten. Aufgrund ihrer – schon reflexiv mitbedachten – Vereinzelung bleiben ihre Anstrengungen jedoch marginal. Ließe sich in paradoxer Ironie formulieren, das Kunstbuch sei von einer Frau gezeugt und von einem Mann geboren worden? Brigitte Werneburg

Francis Haskell: „Die schwere Geburt des Kunstbuchs“. Verlag Klaus Wagenbach. KKB 42. 80 Seiten mit Abb., Berlin 1993, DM 25,-

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