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Dissens ersticken, mit aller Macht

Iranische Zeitungen erhielten eine Lektion in Regierungsloyalität: Über Mißstände berichtet man nicht  ■ Von Safa Haeri

Mitte Oktober dieses Jahres rief Irans Minister für Kultur und Islam, Dr. Ali Larijani, die Zeitungsherausgeber des Landes zu sich und gab ihnen eine Unterrichtsstunde über die Rolle der Presse in einer islamisch-revolutionären Gesellschaft. „Die Zeitungen im Iran sollten nicht miteinander um Nachrichten konkurrieren, als wären sie einfach nur Waren. Wenn sie die Wahrheit, die Realität unserer Gesellschaft spiegeln wollen, müssen sie sich von der Regierung anleiten lassen.“

Die Regierung ist zunehmend irritiert vom Ausmaß der Kämpfe, die sich innerhalb der islamischen Presse abspielen und reagiert gereizt auf die anwachsende Kritik aus den Reihen ihrer eigenen Unterstützer. Also ist sie auf die islamische Presse losgegangen und hat die Zügel gegenüber jeglicher anderen Meinung wieder fester angezogen. Dr. Larijani instruierte seine Zuhörer nicht nur über ihre Pflichten, sondern warnte sie auch vor möglichen Konsequenzen. Das Wesen der iranischen Revolution, so erklärte er, sei „kulturell“ oder „spirituell“. „Das Ziel der Politik ist daher die kulturelle und spirituelle (und nicht so sehr die materielle) Verbesserung der Menschen.“ Demokratie heiße nicht automatisch, daß die Menschen auf einer höheren Kulturstufe stünden. „Der Westen brüstet sich mit seiner Freiheit und Demokratie, aber dies verbessert die Menschen nicht, da der Kapitalismus sie für sich auszubeuten weiß.“ Dr. Larijani behauptete dann, daß eine kürzlich durchgeführte Befragung iranischer Zeitungsleser ergab, daß „die Mehrheit sich vom Zeitunglesen Informationen über Wissenschaft und Sport erwartet sowie ihre Freizeit sinnvoll gestalten will“. Er unterschlug, daß dieselbe Umfrage auch ergeben hatte, daß die Leser sich in erster Linie durch Zeitungen über innen- und außenpolitische Entwicklungen informieren wollen.

Larijanis Stellvertreter Ahmad Pour Nejati führte die Erklärungen seines Herrn weiter aus: „Da die islamische Revolution im wesentlichen eine kulturelle Revolution ist, müssen alle Handlungen und Entwicklungen der Gesellschaft in diesem Kontext gesehen werden. Wer anders denkt, verrät die Revolution. Wir werden den Sensationalismus der Presse und ihre Lügen, die sie uns von Zeit zu Zeit auftischt, nicht dulden.“ Zwar gab er zu, daß die iranische Presse vor „schweren finanziellen Schwierigkeiten“ stünde und vielleicht auch deshalb manchmal vom geraden Weg abkomme, aber er wiederholte seine Warnung: „Wir werden keine Boulevard-Presse zulassen. Die Zeitungen, die meinen, ihren derzeitigen Schwierigkeiten auf diese Weise entgehen zu können, sollen wissen, daß wir lieber ganz ohne Presse auskommen als mit einer solchen.“

Diese Warnungen von oben kommen zu einer Zeit, da im Land die soziale Unzufriedenheit wächst, die wirtschaftliche Lage sich verschlechtert und die internationale Isolation zunimmt. Man reagiert hiermit insbesondere auf die lauter werdende Kritik einer Presse, an deren unbedingter Bereitschaft zur Verbreitung der islamischen Botschaft bisher kein Zweifel bestand. Inzwischen jedoch finden Leserbriefe, die die ökonomische Politik Rafsandschanis mit Spott und Hohn überschütten oder ganz einfach Klagen und Beschuldigungen gegen die Regierung äußern, ihren Weg selbst in so radikal-revolutionäre Gazetten wie Salam und Keyhan – kein Wunder, sollte man meinen, bei mehr als 700 „sozialen Aktionen“, also Streiks, Konflikten über Bezahlung und Arbeitsbedingungen – selbst in der Verwaltung und staatlichen Unternehmen – und weit verbreitetem Krankmelden.

Am 26.August wurde Abbas Abdi, ein ergebener Revolutionär und Islamist, Herausgeber von Salam, auf offener Straße zusammen mit Frau und drei Kindern verhaftet. Salam, Organ der radikalen Vereinigung des militanten Klerus, ist die am besten informierte und professionellste Zeitung des Iran. Sie gehört Ajatollah Mohammed Musawi Koh'eini, einem ebenfalls radikal-militanten Revolutionär und politischen Langzeitüberlebenden, der bereits den Angriff der Studenten im November 1979 auf die Botschaft der USA in Teheran anführte. Eine Anklage gab es nicht, weder gegen die Zeitung noch Abbas Abdi. Wahrscheinlich ist, daß die Regierung genug von Leserbriefen hatte, die die Korruption der Bürokraten anklagten und sich gegen die Propagandalüge des Booms der „islamisch geführten“ Wirtschaft verwahrten, die auf die steigende Inflation und zunehmende Armut und Not der Menschen hinwiesen. Salam erhielt offenbar auch immer wieder Informationen aus regierungsnahen Kreisen, die sie nach Auffassung der Regierung nicht hätte veröffentlichen dürfen.

Salam hatte zudem über die Entführung von Ajatollah Monteseri, einstmals als Nachfolger Khomeinis gehandelt, aus seinem Teheraner Krankenbett in die heilige Stadt Quom, 150 Kilometer südlich der Hauptstadt, auf eine Weise berichtet, die alle Elemente jenes „Sensationalismus“ enthielt, den der Minister in seiner Oktober- Lektion so unerträglich gefunden hatte; das allerdings war wenig erstaunlich, denn der kränkelnde Ajatollah war von Agenten des Informationsministeriums abgeholt worden, die ihre Tat zunächst dementiert, den Ajatollah dann jedoch stillschweigend in sein Teheraner Krankenbett zurückverfrachtet hatten. Einige Beobachter sahen die Berichterstattung über die Entführung als direkten Anlaß seiner Verhaftung. Der Besitzer und offizielle Verleger der Zeitung, Ajatollah Koh'eini, wurde vor das Sondergericht des Klerus beordert. Vor ein solches Tribunal wurde Mehdi Nasiri, Chefredakteur von Keyhan, der zweiten radikal-islamistischen Zeitung, die dem Informationsministerium nahesteht, am 28.August beordert. In einem Artikel der Zeitung soll Ajatollah Mohammad Jasi, oberster Richter des Landes, diffamiert worden sein. Am 10.Oktober wurde Oberst Nasrullah Tavakoli verhaftet, einer der ersten iranischen Offiziere, die sich 1979 auf die Seite der Revolutionäre stellten; er ist inzwischen pensioniert. In seinem letzten offenen Brief an die Regierung, der privat von Hand zu Hand ging und in der iranischen Exilpresse publiziert wurde, forderte der Oberst am 7.Juli eine Revision der iranischen Konstitution und empfahl der Klerusleitung, „ihre politischen Positionen aufzugeben und sie kompetenten Landsleuten zu überlassen“. Wenn dies nicht bald geschehe, so der Oberst, würde dies „nicht nur zu einer Rückkehr des Mittelalters im Iran führen, sondern zur völligen Zerstörung des Landes“. Oberst Tavakoli wird ohne Anklage und ohne Besuchserlaubnis von Anwälten oder Familienmitgliedern im Evin-Gefängnis festgehalten.

Ein weiterer Beweis für die Verstärkung der Repression ist die Verschärfung des Urteils gegen den Karikaturisten Manouchehr Karimsadeh. Mitte 1992 wurde er für eine Karikatur, die Ajatollah Khomeini angeblich beleidigte, von einem Revolutionsgericht zu einem Jahr Haft verurteilt. Karimsadeh legte beim Obersten Gericht Revision ein; es ordnete einen neuen Prozeß an, bei dem der Karikaturist dann zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde.

Angesichts der massiven, wenn auch unorganisierten Unzufriedenheit im Iran versucht die Regierung, den Dissens im ganzen Land zu ersticken. Ein am 24.Oktober im Parlament mit überwältigender Mehrheit verabschiedetes Gesetz hat die Mitgliedschaft von Beamten in einer „unislamischen“ Organisation, wie beispielsweise den Freimaurern, und jeden Kontakt mit ausländischen Organisationen verboten und das Streikrecht abgeschafft; die Strafen bei Zuwiderhandlung reichen vom „Abmahnen“ bis zur Entlassung.

Dieses Gesetz, das aus 28 Paragraphen besteht, die die persönliche Freiheit der BeamtInnen drastisch einschränken, ist das erste dieser Art seit der Revolution. Mehrere Abgeordnete meinen, daß dadurch die Bürokratie „gesäubert“ und unnötige Paragraphenreiterei eingeschränkt werden soll. Unabhängige Beobachter sehen diese Maßnahme jedoch im Zusammenhang mit den massiven Aktionen, „Dienst nach Vorschrift“, Krankfeiern und Streiks, die das Land zum Stillstand zu bringen drohen.

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