: Drahtzieher der Bahnreform
Die Deutsche Bank lenkt die Verkehrspolitik der Bundesrepublik ■ Von Henrik Paulitz
Seit über zehn Jah-
ren fordern die Umweltverbände die Bundesregierung auf, die Bahnschulden zu übernehmen. Nur so sei Neuanfang in Konkurrenz zum Straßenverkehr möglich. Die plötzlich vorhandene Bereitschaft zur Schuldenübernahme im Rahmen der Strukturreform von Bundesbahn und Reichsbahn aber ist nicht dem Wirken der Umweltschützer zu verdanken. Mächtigere Interessengruppen hatten ihre Hände im Spiel.
1989 konstituierte sich die „Regierungskommission Bahn“ mit dem Auftrag, Vorschläge zur Neustrukturierung der Bundesbahn zu erarbeiten. Ihr Vorsitzender, Günther Saßmannshausen, kommt jedoch nicht etwa aus Politik oder Verwaltung, wie es bei einer Regirungskommission zu erwarten wäre. Er ist ein Mann der Privatwirtschaft und sitzt in Aufsichtsräten der Automobilindustrie (Volkswagen), der Mineralölwirtschaft (Deutsche Shell) sowie in anderen Großkonzernen und Verbandsgremien (BDI). Auch in den Beiräten der Dresdner Bank, des Versicherungsriesen Allianz und der Westdeutschen Landesbank Girozentrale steht ein Stuhl für ihn. In der Regierungskommission arbeitete er unter anderem mit Vertretern der Deutschen Bank zusammen.
So ist es nicht verwunderlich, daß die Vorschläge, die die Gruppe im Dezember 1991 vorlegte, weitgehend identisch sind mit denen, die ein parallel tätiges Gremium lieferte. Dabei handelte es sich um das „Verkehrsforum Bahn e.V.“, eine Wirtschaftsvereinigung von rund 240 Unternehmen, die für einen arbeitsteiligen Einsatz von Auto, Bahn, Flugzeug und Schiff eintritt. Ehrenvorsitzender dieses Lobbyverbandes ist kein Geringerer als Hermann Josef Abs, der viele Jahre an der Spitze der Deutschen Bank stand. Eine ganze Reihe enger Vertrauter des Bankhauses – zum Beispiel der langjährige „Berufsaufsichtsrat“ der Deutschen Bank, Günter Vogelsang, sowie das Aufsichtsratsmitglied von Deutscher Bank und Allianz, Klaus Liesen, werkelten an den konkreten Vorschlägen für die Bahnreform mit.
Diese Konstellation macht deutlich, daß die Großbanken und die ihnen verbundene Großindustrie das Drehbuch für die geplante Gründung der „Deutsche Bahn AG“, deren spätere Privatisierung und die Ausgliederung des defizitären Nahverkehrs geschrieben haben.
Volle Kontrolle der Bahn durch die Privatisierung
Die Interessengruppe um die Deutsche Bank erlangt spätestens im Zuge der Privatisierung die volle Kontrolle über die Bahn. Die künftige Deutsche Bahn AG als Aktienemittentin beauftragt verschiedene Banken, die Aktien des Bundes zu veräußern. Die Großbanken werden dabei erfahrungsgemäß den größten Teil bekommen. Die Bahn-Aktien, die sie nicht selbst behalten, werden sie insbesondere „befreundeten“ Großkonzernen anbieten. Diese werden entweder die Stimmrechte den Banken übertragen oder in Absprache mit diesen votieren. Hat diese Interessengruppe auf den Hauptversammlungen der neuen Bahn-Gesellschaften erst einmal das Sagen, dann bestimmt sie durch die Bestellung von Aufsichtsrat und Vorstand über die Geschäftspolitik.
Dürr macht die Bahn privatisierungsfähig
Es ist allerdings nicht so, daß die Industrie bisher ohne Einfluß auf die Bahn gewesen wäre. Schließlich sorgen ihre Vertreter im Beirat der Deutschen Bundesbahn schon lange dafür, daß keine Bahnpolitik in Konkurrenz zur Straße gemacht wird. Darüber hinaus steht mit Heinz Dürr seit Jahren ein Mann der Großbanken an der Spitze der Bundesbahn. Er war Vorstandsmitglied der Deutsche-Bank- Tochter Daimler-Benz und sitzt im Verwaltungsrat der Dresdner Bank.
Dürr macht die Bahn seit Jahren privatisierungsfähig: Jährlich steigen die Fahrpreise kräftig, betriebswirtschatlich unrentable Nebenstrecken werden ausgedünnt oder stillgelegt, die profitablen Städteverbindungen dagegen ausgebaut. Und auf Staatskosten wurde noch kurz vor der Privatisierung das teure Hochgeschwindigkeitsnetz errichtet.
Neben Dürr fungiert ein weiteres Bahn-Vorstandsmitglied als Exekutor der Reform: Diethelm Sack. Beide leiten nämlich die „Deutsche Bahn Gründungsgesellschaft mbH“ in Frankfurt, die seit diesem Jahr die Vorarbeiten für die Deutsche Bahn AG leistet.
Die Deutsche Bank honorierte Sacks Bemühungen mit dessen Beförderung in den Frankfurter Beirat der Bank, Allianz und Münchener Rück stellten dem Bahn-Manager einen Aufsichtsratsposten bei einer gemeinsamen Tochtergesellschaft, der Frankfurter Versicherungs-AG, zur Verfügung. Aufsichtsratsvorsitzender der „Gründungsgesellschaft“ ist übrigens der oben genannte Günther Saßmannshausen.
Die Aussöhnung zwischen Bahn und Lkw
Welche Bahnpolitik ist von diesen Herren zu erwarten? „Richtige Verkehrspolitik ist ein Gesamtkunstwerk“, sagte das Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, Ulrich Cartellieri, 1992 auf dem Bank-Kongreß „Strategien gegen den Verkehrsinfarkt“. Das Konzept heißt: Integration der verschiedenen Verkehrsmittel. Güterverteilzentren sollen Straße und Schiene miteinander vernetzen. Die geringe Zahl der geplanten Güterumschlagplätze stellt allerdings sicher, daß die LKW weiterhin große Entfernungen zwischen diesen Zentren und den Herkunfts- und Bestimmungsorten zurücklegen müssen. Durch die Integration der verschiedenen Verkehrsmittel schafft es die Bank, die Profite ihrer im Verkehrsbereich tätigen Industrie- Klientel zu steigern. Der drastische Anstieg des Verkehrs in der Europäischen Union verspricht wachsende Erträge für alle Verkehrsmittel.
Die führenden, an Transport und Verkehr verdienenden Unternehmen sind es, die in dem bereits erwähnten Verkehrsforum Bahn das Konzept für die Bahn-Reform zusammen mit der Deutschen Bank ausgeheckt haben – und sie gehören ausnahmslos zu den mit der Bank eng verbundenen Unternehmen. Absehbar ist, daß die Großbanken ihnen im Rahmen der Privatisierung größere Aktienpakete anbieten werden. Selbstverständlich gehören dazu auch die Automobilkonzerne Volkswagen und Daimler-Benz, der Baukonzern Philipp Holzmann, die Mineralölkonzerne Veba (Veba Oel, Aral) und Deutsche BP, die Spediteure Veba (Schenker-Rhenus) und Viag (Kühne & Nagel) sowie die „Bahnindustrie“ mit Siemens, Daimler-Benz (AEG), Thyssen, Krupp und ABB.
Diese Unternehmen werden wohl in Zukunft aushandeln, welche Verkehrsmittel welche Rolle spielen dürfen. Weder demokratische Entscheidungen noch die gesellschaftlichen Kosten werden die Bedeutung von Bahn, Auto, Flugzeug oder Schiff bestimmen.
Wie schon bei der Einführung des ICE deutlich geworden ist, wird die Bahnpolitik auch zunehmend von den Exportinteressen der Bahnindustrie und ihrer Finanziers bestimmt. Siemens, Daimler-Benz (AEG) und Thyssen versuchen seit langem zusammen mit der Deutschen Bank der Bundesregierung wenigstens eine Strecke für den teuren und verkehrspolitisch sinnlosen Stelzenzug Transrapid abzutrotzen; schließlich brauche man eine Referenzstrecke für den Export der neuen Technologie.
Die neue Offensive im Straßenbau
Bei der Bahnprivatisierung handelt es sich nur um einen Baustein einer weitreichenderen Konzeption. Die für die Privatwirtschaft zunehmend günstiger werdende politische Großwetterlage nutzt die Deutsche Bank offenbar für eine breit angelegte Offensive im Verkehrssektor. Daß Deutsch- Banker Cartellieri den Bundesverkehrswegeplan, der den Bau von 12.000 Kilometern neuer Fernstraßen vorsieht, ausdrücklich begrüßte, ist nicht erstaunlich. Denn schon 1991 legte die Deutsche Bank zusammen mit VW, dem Verband der Automobilindustrie, Bosch und dem Bauriesen Holzmann Planungen für das Ost-Autobahnnetz vor.
Jedes Jahr wartet das Finanzinstitut mit Vorschlägen für die Privatisierung von Bundesautobahnen auf. Dem Konzept „Privatwirtschaftlicher Ausbau der Verkehrsinfrastruktur“ zufolge soll zunächst die Autobahn Berlin– Helmstedt privatisiert werden. Kaufinteressentin: die Deutsche Bank. Ähnliche Ambitionen hat die Dresdner Bank, die mit der Deutschen Bank über den Versicherungsriesen Allianz eng verflochten ist.
Die Profite sollen über ein flächendeckendes, elektronisches Mautsystem erwirtschaftet werden, wie die Deutsche Bank in einer weiteren Studie vorschlägt. Die Firma ANT soll die Maut-Erhebung überwachen. ANT ist eine 82prozentige Bosch-Tochter. Und Bosch gehört zum engsten „Freundeskreis“ der Großbank.
Umweltpolitisch wäre eine Autobahn-Privatisierung fatal. Denn privatwirtschaftlich betriebene Autobahnen werden um so attraktiver, je mehr Gebühren fließen, also vor allem durch eine Steigerung des Verkehrsaufkommens. Das soll wohl auch durch einen weiteren Vorschlag der Bank erreicht werden: den dreispurigen Ausbau der Autobahnen.
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