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Ablaßbriefe gegen Lärm

Dubiose Verträge für die Anwohner eines Flugplatzes  ■ Aus Memmingen Klaus Wittmann

Mit Geld gegen Fluglärm – so lautet offenbar das politische Konzept, um Anlieger von Militärflugplätzen für alle Zeiten ruhigzustellen. Seit einiger Zeit schließen landauf, landab die Bundesvermögensämter mit lärmgeschädigten Grundstücksbesitzern Wertminderungsverträge ab, Verträge, die immer mehr ins Zwielicht geraten. Vor allem im Umfeld der Bundeswehr- und Nato-Flugplätze Memmingerberg im Allgäu, Neuburg/ Donau und Lagerlechfeld bei Augsburg regt sich Widerstand, und zwar sowohl gegen den höllischen Fluglärm als auch gegen die Entschädigungsverträge. Die Abgeordnete Elisabeth Köhler von den bayrischen Grünen spricht gar von einem „Ablaßhandel“ der Bundeswehr in Sachen Fluglärm.

„Der Alltag bei uns ist schlimm“, berichtet Adelheid Hockenmaier von der Lechfelder Fluglärminitiative. „Meine beiden Enkelkinder sind mit den Nerven völlig am Ende. Der vierjährige Tilo hat sich im Sommer stocksteif auf den Boden fallen lassen vor Schreck, und sich dabei erheblich am Kopf verletzt.“ Den ganzen Sommer über hätten die Militärs über dem Fliegerhorst Lagerlechfeld Scheinangriffe im 150-Meter- Tiefflug und sogar sechsmal Kunstflug geübt. „Trotz Ramstein und anderer tödlicher Unfälle“, ärgert sich die streitbare Frau. Hinter den jüngst bekannt gewordenen Entschädigungsverträgen vermutet sie jetzt eine „üble Masche“.

„Die Verträge sind fast schon sittenwidrig. Oder nennen wir's einfach unverschämt“, schimpft der Vorsitzende des Siedlervereins Klosterlechfeld (Landkreis Augsburg), Eduard Breitwieser. Er berichtet, daß er abends nach 19 Uhr Besuch von einer Mitarbeiterin des Bundesvermögensamtes bekam, die recht barsch seine Unterschrift einforderte. Meist seien ältere Ehepaare betroffen, die sich mit der Vertragswelt nicht hinreichend auskennen. Diese Personen seien von den Mitarbeitern des Bundesvermögensamtes teilweise völlig unzureichend über die Vertragsinhalte informiert worden.

Als höchst bedenklich empfinden die Kritiker mehrere Formulierungen in den Abfindungsverträgen. So verpflichten sich die Unterzeichner z.B. in Paragraph 3, Absatz 2, den Flugbetrieb durch den Bund, seine Rechtsnachfolger oder berechtigte Dritte und den mit dem Betrieb verbundenen Fluglärm für immer zu dulden. Alle Entschädigungsansprüche gegen den Bund und die genannten Rechtsnachfolger werden abgetreten und als persönliche Dienstbarkeit ins Grundbuch eingetragen.

„Ich bin der Meinung, daß man in der heutigen Zeit mit älteren Menschen unter moralischen Gesichtspunkten anders umgehen sollte“, findet Wolfgang Koch, dessen Eltern bereits unterschrieben haben. Vorschnell, wie er bedauert. Denn er und seine Geschwister sind die Gelackmeierten. „Meine Eltern haben unterschrieben, daß sie künftig jeglichen Fluglärm akzeptieren, und zwar nicht nur sie, sondern auch ihre Kinder und Kindeskinder.“ Dies für lächerliche Beträge, die nicht annähernd der tatsächlichen Wertminderung entsprechen würden. Zwischen 7.000 und 14.500 Mark liegen die ersten etwa 50prozentigen Abschlagszahlungen. Wie hoch die endgültige Entschädigung ausfallen wird, ist noch nicht bekannt.

Basis der Verträge sind Erkenntnisse und ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) von 1986, das den Betroffenen Entschädigungsansprüche einräumt. Wieviel genau, bleibt allerdings für die Anwohner nicht ersichtlich. Sie ärgern sich darüber, daß ihnen der Einblick in die eigenen Akten verwehrt würde und man ihnen die genaue Bemessungsgrundlage der Entschädigung vorenthalten habe.

In der Oberfinanzdirektion München (OFD) ist man sich allerdings keiner Schuld bewußt. Rund 780 Verträge sind allein aus den Bereichen Memmingen, Lagerlechfeld und Neuburg hier schon eingegangen. „Es wäre sicher nicht im Sinne unserer Verwaltung, wenn unsere Mitarbeiter so vorgegangen wären, wie das von Ihnen geschildert wird“, erklärte Pressesprecher Josef Griesbeck zu den Vorwürfen der „Unterschriften- Eintreiberei“. „So kann man mit den Leuten nicht umspringen. Wir wollen ein fairer Verhandlungspartner sein. Es soll niemand den Eindruck haben, er wird über den Tisch gezogen.“ Auch wenn sicher nicht alle internen Unterlagen offengelegt werden könnten, sei doch soweit wie möglich Akteneinsicht zu gewähren, meinte der Sprecher.

Das freilich liest sich in einem Schreiben der verantwortlichen Referatsleiterin der OFD an den Rechtsanwalt eines Antragstellers in Neuburg/Donau ganz anders. Darin heißt es unmißverständlich: „Bei der Wertermittlung des Bausachverständigen der OFD München handelt es sich um einen verwaltungsinternen Vorgang. Eine Einsicht in dieses Aktenstück kommt deshalb nicht in Betracht.“ Trotz aller Unzufriedenheit unterschreiben viele Betroffene dennoch die Verträge. Ihnen ist der Spatz in der Hand lieber als gar keine Entschädigung oder ein jahrelanger Rechtsstreit. Denn der Lärm, so sagen sie, der bleibt, ob wir das Geld nehmen oder nicht.

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