: Das Drama des begabten Hitlerkindes
■ „Traum und Trauer des jungen H.“ am Hannoverschen Schauspiel
Begleitet von den frommen Chorälen der Matthäuspassion, fährt der zwölfjährige Adolf Hitler aus der Versenkung auf die Bühne. Von einem auratischen Lichtstrahl beleuchtet, steht er in seinen zu großen Lederhosen da. Klein und verloren träumt er frühe Allmachtsphantasien. Moltke will er sein oder Winnetou. Oder lieber doch nicht der, denn dann müßte er nach Amerika – und fort von der geliebten Mutter.
Da redet und phantasiert sich einer stark: gegen den Vater und die Lehrer, gegen Schule und Kirche. „Alles hört auf mein Kommando“ – nichts Ungewöhnliches eigentlich für einen Zwölfjährigen.
Im zweiten Bild eine stille Genreszene: Mutter und Tante, Schwester und Halbschwester, plaudernd en famille, ein Tableau vivant in strengem Schwarzweiß. Da hinein bricht aus dem Off – und damit um so gewalttätiger – die Stimme des prügelnden Vaters. Er bestraft Adolf mit drakonischer Härte dafür, daß er für seine Spiele dessen Uniform mißbraucht hat. Schließlich erscheint der kleine Adolf, eine zitternde Gestalt im langen, weißen Nachthemd. Er zwingt sich, nicht zu weinen. Die Etappen einer Verhärtung werden sichtbar: Adolf als abgewiesener Liebhaber, als abgelehnter Kunststudent, als glückloser Aquarellist, arbeitslos, im Obdachlosenasyl, als ohnmächtiger Gefreiter im Ersten Weltkrieg. Zugleich die Herausbildung eines einzigartigen Talents. Die Emanzipation vom Dialekt und die Beherrschung der Hochsprache mit dem Willen zur manipulierenden Rede werden zum Ausdruck seines Willens zur Macht.
Soweit nichts Neues. Robert Schneiders („Schlafes Bruder“, „Dreck“) „theatral-biographisches“ Stück über den jungen Hitler wirkt zuerst einmal wie die Bühneninthronisation der Sozialisationsthesen von Alice Miller: Aus vergewaltigten Kindern werden erwachsene Vergewaltiger. Der junge Dramatiker vermeidet zwar die Dämonisierung Hitlers, arbeitet aber mit an der Banalisierung des Bösen.
Wobei er sich mit Thomas Mann und Hannah Ahrendt noch in guter Gesellschaft befände. Bedenklicher ist das mögliche Mißverständnis einer Heroisierung. Die Sakralisierung der Lebensstationen durch die Choräle der Matthäuspassion (die die Szenen laut Autorenanweisung rahmen), steht quer zu den Facta bruta der Hitlerschen Vita. Sie sollen Ausdruck der subjektiven Erlösungsphantasien des jungen Hitlers sein. „Gott liebt mich. Er gibt mir die Passion. Er haßt die Juden. Er liebt Adolf Hitler“, läßt Schneider seinen Protagonisten sagen, aber trotzdem scheint das Arrangement den Negativhelden unfreiwillig aufzuwerten. Auch der Titel seines Stückes „Traum und Trauer des jungen H.“ – ein romantischer Titel, der die wagnerianischen Sehnsüchte des zartgliedrigen Verbalbrutalisten in Anschlag bringen soll – arbeitet mit an der Verheldung Hitlers.
So verkehrt sich auch die Stärke der eindrucksvollen Inszenierung von Regisseur Jochen Fölster in eine Schwäche. In strengen, nachtdunklen, sehr puristischen Tableaus mit fokussierendem auratischem Licht erlebt man den Aufstieg eines „klassischen Helden“ zur Macht. Auch die eminente schauspielerische Leistung des Hauptdarstellers, der sein Vorbild sehr genau studiert hat, verstärkt diesen Eindruck. In gewisser Weise ist der junge Harald Baumgartner sogar perfekter als sein Vorbild: Wenn man Hitler in Dokumentarfilmen studiert, denunziert er sich selbst. Sein Habitus macht ihn lächerlich, und es ist schwer, die Begeisterung der Massen von damals für ihn heute – ohne die sozioökonomischen Bedingungen der Zeit – noch zu verstehen. Kurzum: Wir haben es mit einer Ästhetisierung des „Unmenschen“ zu tun, die letztlich mehr verschleiert als erklärt. Michael Stoeber
„Traum und Trauer des jungen H.“ von Robert Schneider. Regie: Jochen Fölster. Bühne: Roswitha Thiel. Hannoversches Schauspiel. Nächste Vorstellungen: 26. November, 1. und 4. Dezember, jeweils um 19.30 Uhr
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