: Wir müssen nicht überleben um jeden Preis
■ Der Theologe Hans Grewel zur Kritik der Kirche an der Transplantationsmedizin
taz: Die 1990 veröffentlichte, eindeutig positive Erklärung der evangelischen und katholischen Kirche zur Organtransplantation wird zur Begründung des Gesetzentwurfes herangezogen. Ist der Eindruck, daß seitens der Kirche kein Widerspruch zur Transplantation besteht, richtig?
Professor Hans Grewel: Nein, im Gegenteil, es gibt wachsenden Widerstand, sowohl gegen diese kirchliche Äußerung als auch gegen die Transplantationschirurgie selbst. Die Synode der EKD hat soeben in einem wichtigen Beschluß zu einer kritischen Diskussion und umfassenden Information aufgerufen und daran erinnert, daß unser Leben auch Leiden und Sterben umfaßt, das heißt, daß wir nicht überleben müssen um jeden Preis.
Können Sie uns die zentralen Kritikpunkte benennen?
Ehe man Organspende als ein Zeichen der Nächstenliebe, gar als Christenpflicht bezeichnet, hätte geklärt werden müssen, ob wir überhaupt berechtigt sind, einen Menschen in Einzelteile zu zerlegen, um sie anderen einzuverleiben. Viele sind der Ansicht, daß mit der Transplantation lebender Organe die Grenze dessen, was wir mit dem uns anvertrauten Leben anfangen dürfen, überschritten ist.
Welche Grenzüberschreitungen meinen Sie?
Die Übertragung lebender Organe von einem Menschen auf einen anderen ist etwas anderes als der Austausch von Ersatzteilen in einer Autowerkstatt. Das betrifft sowohl die Spender als auch die Empfänger. Explantationen von lebenden Spendern verstoßen gegen das Verbot, Leben zu schädigen und zu töten. Sie wären überdies bei nichtpaarigen Organen tödlich. Aber auch ein Mensch mit erloschener oder zerstörter Gehirntätigkeit ist nicht tot. Richtig ist, daß der Ausfall der Gehirntätigkeit den endgültigen Zerfall des menschlichen Organismus einleitet. Aber diese Menschen können ihr Sterben nicht vollenden, weil durch die künstliche Beatmung das Herz-Kreislauf-System lebendig erhalten wird. Die Menschen, denen diese Organe einverleibt werden sollen, empfangen nicht einfach ein Ersatzteil, sondern erleiden eine Operation mit zum Teil hohem Risiko und mit lebenslangen körperlichen und psychischen Folgen.
Was setzen Sie dem Bild vom menschlichen Ersatzteillager und der Klempnerei an Körperstücken entgegen?
Das Menschenbild, das sich für Christen aus der Grundlage unseres Glaubens ergibt, läßt es nicht zu, daß das Überleben um jeden Preis und mit allen Mitteln zur obersten Maxime unseres Lebens wird.
Wir müssen uns um die Verhinderung, Verringerung und Beseitigung der Schäden kümmern, die wir durch ruinöse Lebensweise und Vergiftung unserer Umwelt unserem Leben zufügen, statt den jeweiligen Schaden durch die Medizin reparieren zu lassen.
Es muß auch bedacht werden, wie der geplante Ausbau der Transplantationszentren mit den Einsparungen zusammenhängt, die wir an anderen Stellen des Gesundheitssystems hinzunehmen haben. All dies hätte in einer kirchlichen Erklärung differenziert erörtert werden müssen. Das muß jetzt nachgeholt werden. Wer sich dann für eine Organspende ausspricht, weiß wenigstens, was er tut.
Welche Pläne, Initiativen und Chancen gibt es, um der Kritik zu mehr Bedeutung in Kirche und Öffentlichkeit zu verhelfen?
Die wichtigsten Maßnahmen sind umfassende Information der Bevölkerung und öffentliche Diskussion, in deren Zentrum nicht die Steigerung des Aufkommens an Spenderorganen steht, sondern die Befähigung der mündigen Bürgerinnen und Bürger zu einer kritisch-verantwortlichen Entscheidung. Gerade hierzu hat der Beschluß der EKD-Synode ein wichtiges Zeichen gesetzt. Interview: Ute Bertrand
und Erika Feyerabend
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