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Arbeitsrecht-Wild-West

■ Trotz Gerichtsurteil: Hamburger Aluminiumwerke verweigern behindertem siebenfachen Vater Arbeitsplatz     Von Kai von Appen

Das Hamburger Arbeitsgericht wird sich in dieser Woche mit einem pikanten Fall befassen: Seit 29 Monaten weigert sich die Geschäftsleitung der Hamburger Aluminiumwerke (HAW), Nevzat S. einen Alternativ-Arbeitsplatz anzubieten, nachdem der schwerbehinderte Hüttenwerker seinen alten Job nicht mehr ausüben kann. Zwei Urteile des Arbeits- und Landesarbeitsgerichts konnten das Unternehmen nicht dazu bewegen, Nevzat S., der seit fast 20 Jahren bei den HAW beschäftigt ist, Beschäftigung zu geben und den ihm zustehenden Lohn zu zahlen.

Den Stein hatte die AOK ins Rollen gebracht. In einem Schreiben vom 14. Mai 1991 teilte die Krankenkasse den HAW mit, daß „Herr S. für seine Tätigkeit als Hüttenwerker voraussichtlich nicht mehr arbeitsfähig“ werde. Die AOK bat die HAW, Nevzat S. im Rahmen einer „innerbetrieblichen Arbeitsplatzumsetzung“ einen Alternativjob anzubieten.

Doch weit gefehlt: Zum 1. August 1991 flatterte Nevzat S. eine fristlose – und doppelt hält besser – eine fristgerechte Kündigung wegen erheblicher krankheitsbedingter Fehlzeiten ins Haus. Als Begründung führte das Unternehmen gegenüber dem Betriebsrat an: „Wir sehen uns nach sorgfältiger Prüfung nicht in der Lage, Herrn S. einen Arbeitsplatz anzubieten.“ Diese „sorgfältige Prüfung“ durch die HAW-Personalabteilung, so fand der Betriebsrat heraus, hatte genau zwei Tage gedauert, bevor das Kündigungsbegehren der Belegschaftsvertretung vorgelegt wurde.

Der Betriebsrat widersprach erwartungsgemäß aus „sozialen Gründen“ der Kündigung. Nevzat S. ist nämlich nicht nur schwerbehindert, sondern hat zudem sieben Kinder zu ernähren. Doch die HAW-Chefs zeigten kein Erbarmen. Seit 29 Monaten dauert der Rechtsstreit an, ohne daß Nevzat S. einen Pfennig Lohn gesehen hat.

In den bislang zwei Verfahren ging es immer um dieselben Fragen: Ist den HAW mit ihren 680 MitarbeiterInnen zuzumuten, Nevzat S. wegen seiner Behinderung einen Arbeitsplatz anzubieten, auf dem er nur noch bestimmte Beschäftigungen verrichten muß? Und: Muß die HAW ihm für die Tätigkeit ein Atemschutzgerät zur Verfügung stellen? Hintergrund: Der Betriebsrat hatte für Nevzat S. einen für ihn angemessenen Arbeitsplatz ausfindig gemacht. Die 2000 Mark für den dafür notwendigen Helm wollte sogar die staatliche Hauptfürsorgestelle übernehmen. Doch die HAW behaupten, der an Atemwegserkrankung leidende Nevzat S. könne diese Arbeiten nicht ausführen.

Bisher haben Arbeits- und Landesarbeitsgericht stets die Kündigung als „sozial ungerechtfertigt“ zurückgewiesen. Und auch die Hauptfürsorgestelle – die bei Kündigungen von Schwerbehinderten zustimmen muß – lehnte sowohl die fristlose als auch die fristgerechte Kündigung in vier Verfahren ab. Zur Verhängung eines Zwangsgeldes, um den Arbeitsplatzanspruch durchzusetzen, konnten sich die Arbeitsgerichte allerdings bislang nicht durchringen.

Als nun im März dieses Jahres das Arbeitsgericht in einem dritten Verfahren über die rückwirkende Lohnzahlung befinden wollte, kam es zum offenen Eklat: Der HAW-Anwalt zog in diesem Termin, weil eine Niederlage drohte, die „Notbremse“, und lehnte den Vorsitzenden Richter Dr. Nause nebst Arbeitnehmervertreter in dieser Kammer „wegen Besorgnis der Befangenheit“ ab – ein ungewöhnlicher Schritt in der Arbeitsgerichtsbarkeit. Aber: Dadurch war der Termin vorerst geplatzt.

Mittlerweile ist der Befangenheitsantrag als „unbegründet“ zurückgewiesen worden. Am kommenden Donnerstag geht es daher in eine neue Runde des Arbeitsrecht-Wild-Wests bei der HAW.

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