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Ein Buch mit sieben Siegeln

■ Band 7 des „Bremischen Urkundenbuchs“ vorgestellt / 30 Jahre Arbeit für 600 Seiten

Hanseatisch-vornehm ging es vor 500 Jahren in Bremen nicht gerade zu. Als bremischen Kaufleuten in Holland ihre Ware beschlagnahmt wurde und sie über die Gerichte nichts erreichten, charterten sie kurzerhand Piratenschiffe, um die Niederländer in der Ostsee zu piesacken. 1442 schlossen die Kaufleute einen Vertrag mit dem Seeräuber Hans Engelbrechtes: Gekaperte Schiffe sollten nach Bremen gebracht und ein Drittel der Ladungen hier abgeliefert werden. Die Beschwerden und Klagen der europäischen Kaufleute stapelten sich auf den Schreibtischen der Bremer Ratsherren. Da diese aber teilweise selbst Piraten anheuerten und sogar ausrüsteten, wurden nur in einigen Fälle Schadensersatz geleistet – die übrigen Protestnoten verschwanden im Archiv.

Dort wurden sie jetzt nach einem halben Jahrtausend von zwei Archivaren des Bremer Staatsarchives ausgegraben und zusammengestellt. In Band 7 des „Bremischen Urkundenbuchs“ haben Adolf Hofmeister und Andreas Röpcke 548 Urkunden aus den Jahren 1442-1447 zusammengestellt, an denen noch die lebkuchengroßen Siegel hängen. In dem Buch sind alle bekannten Urkunden Bremens aus diesen Jahren in Originalsprache abgedruckt – eine Schatzgrube für WissenschaftlerInnen, die über Bremens Leben im Mittelalter forschen wollen. Nicht nur die große Politik und die auswärtigen Beziehung der Handelsstadt (so wie der Vertrag über den Frieden von Harderwijk, mit dem Bremen 1446 im Seekrieg gegen die Niederländer seine Forderungen durchsetzte), sondern auch Interna des Bremischen Lebens haben auf dem Pergament die Jahrhunderte überdauert: so die Zusage der „Burgmannen von Horneburg bei Stade“, keine Kaufleute mehr zu überfallen oder die Streitereien von Nachbarn über die Ableitung von Regenwasser. Alltägliche Lappalien neben der großen Politik haben die Archivare aus der Bremer Sammlung und aus 29 europäischen Archiven zusammengetragen.

Das Projekt „Bremisches Urkundenbuch“ ist eine Fleißarbeit, die wie früher der Bau der großen Kathedralen von Generation zu Generation weitergegeben wird. Begonnen hat die Zusammenstellung der Urkunden schon unter Bürgermeister Smidt: 1862 erschien der erste Band mit den Urkunden aus grauer Vorzeit. Inzwischen sind die Archivare des Staatsarchivs im Hochmittelalter angelangt – nach 30 (dreißig!) Jahren Arbeit. „Als ich 1974 hier anfing, sagte man mir, das sei eine Arbeit von drei Monaten,“ erzählt Andreas Röpcke. Inzwischen haben er und sein Kollege Hofmeister jeweils 15 Jahre lang die Dokumente durchgeblättert und in Archiven gesucht. Dann hat der Lektor Gerd-Ullrich Hüsener vom Bremer Hauschild Verlag drei Jahre Korrektur gelesen, schließlich wurde der 600-Seiten starke Foliant in drei Tagen gedruckt. 180 Mark kostet der 7.Band des Bremischen Urkundenbuchs und ist in einer Auflage von 500 Stück erschienen. Nichts zum Schmökern an langen Winterabenden, aber eine wichtige Quellensammlung für HistorikerInnen.

Archivare denken in Jahrzenten und Jahrhunderten: „Es war ein ungeheurer Druck, weil wir wußten, daß unsere Arbeit auch noch in hundert Jahren aktuell sein wird. Da will man sich möglichst keine Fehler erlauben“, sagt Röpcke. Band 8 des Urkundenbuchs steht auch schon an: Schriftliches aus den Jahren bis 1450 soll dort zusammengetragen werden. Ob er denn da schon ein Datum für die Veröffentlichung absehen könne? „Nein!“ ruft verzweifelt Archivar Röpke. Bernhard Pötter

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