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Biss mit Breitenwirkung?

■ Gut gemeintes Glanzpapier: Münchens etwas zahnlose Obdachlosenzeitung

Der Name weckt Erwartungen. Biss – das klingt bissig, unbequem, heißt aber erst mal nur „Bürger in sozialen Schwierigkeiten“. Seit fünf Wochen wird die erste Ausgabe der neuen Obdachlosenzeitschrift von rund 40 Obdachlosen in München verkauft. Mittlerweile ist die erste Auflage von 10.000 Exemplaren vergriffen, die zweite im Umlauf.

Auf fünf der 28 Seiten äußern sich die „Bürger in sozialen Schwierigkeiten“ über ihre Probleme. Den Rest des professionell aufgemachten, auf gespendetem Glanzpapier gedruckten Blattes füllen Sozialarbeiter, Journalisten und der Präsident des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche. Und ein Frater Barnabas schreibt über die ärztliche Versorgung der „Aussätzigen des 20. Jahrhunderts“ an seinem Kloster.

Gerhard Winkler, Leiter eines städtischen Unterkunftsheimes für Männer, zweifelt an einer Breitenwirkung des Blattes und hält es für „gutgemeinte Naivität von Akademikern für Obdachlose“. Biss sei keine selbstorganisierte Initiative, wo Obdachlose lernen könnten, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Für die Biss-Verkäufer ist die neue Zeitung eine Möglichkeit, mit Münchnern ins Gespräch zu kommen. Pro Zeitung verdient der Verkäufer zudem eine Mark. „Silvia mit Hund“, wie sie sich selber nennt, gibt jedem bereitwillig Auskunft über ihre Situation: „Arbeit weg, Wohnung weg, das ging unglaublich schnell.“

München, Ende September. In einer Schnellaktion am frühen Morgen läßt die Stadt Möbel und Bretterverschläge einer Gruppe Obdachloser unter der Wittelsbacher Brücke abräumen – und nimmt ihnen damit die Möglichkeit, dort im Winter zu leben. Das Verwaltungsgericht hatte die Teilräumungsklage des Kreisverwaltungsreferenten Hans-Peter Uhl (CSU) bestätigt: Es bestehe dort akute Eigengefährdung durch Brandgefahr. Eine Pfarrerin berichtet in Biss darüber. Gleichzeitig darf sich ein paar Seiten weiter vorne Herr Uhl wohlwollend in einer Umfrage über das Blatt äußern, gleich neben dem Mitverantwortlichen Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) und den anderen Proporz-Politikern. „Wir werden uns nicht auf einen Schmusekurs mit der Stadt einlassen“, sagt Chefredakteur Klaus Honigschnabel, „aber wenn wir langfristig etwas erreichen wollen, müssen wir uns mit den Leuten von der Stadt an einen Tisch setzen.“ Honigschnabel, hauptberuflich als Seminarleiter der Akademie der Bayerischen Presse tätig, will sich mit Biss nicht nur an Berber, sondern an ein breites Publikum wenden.

Anders als die Hamburger Obdachlosenzeitung Hinz und Kunzt ist Biss von keinem Verband abhängig. Die Finanzierung des vierteljährlich erscheinenden Blattes soll über Sponsoren und Spenden laufen.

Irmgard Ernst ist Sozialarbeiterin in einer Teestube für Obdachlose, die den Vertrieb von Biss mitorganisiert. Sie findet es wichtig, „daß Profis bei der Zeitung mitmachen, deshalb ist sie so erfolgreich“. Die Berberbriefe, die in München zwei Jahre lang erschienen, seien so unansehnlich gewesen, „daß sie wirklich keiner außer den Berbern selbst gelesen hat“. In der Teestube, in die jetzt im Winter täglich rund 100 Obdachlose flüchten, werde Biss von etwa der Hälfte der Leute gelesen. „Für diejenigen Obdachlosen allerdings, die schon durch alle sozialen Netze gefallen sind und Probleme mit Alkohol haben“, so Irmgard Ernst, „gibt es Wichtigeres zu tun, als ihnen die Zeitung in die Hand zu drücken.“ Corinna Emundts

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