Unterm Strich

„Sie hat auf der Rasierklinge gelebt“, schrieb Ingeborg Bachmann, die es wissen mußte, über Maria Callas, die heute vor siebzig Jahren in New York geboren wurde. Sie zog alles auf sich, was die Diven-Ikonographie hergab: Femme fragile bis Femme fatale, Göttin, Hexe, Tigerin, Furie – gleichzeitig versorgte sie die Welt nicht mit genügend Skandalen. Erst als ihre Stimme nachließ (damals war vom „Norma Fiasko“ die Rede), kochte Italiens Volkszorn gegen sie hoch: „Ist sie überhaupt eine Italienerin? Was hat diese Ausländerin, die unzivilisierte Amerikanerin, die sich nicht um ihre arme Mutter in Griechenland kümmert, in unseren Opernhäusern zu suchen? Mit ihrer häßlichen, rauhen, bitteren Stimme? Mit ihrem armen italienischen Ehemann, den sie wohl nur geheiratet hat, um hier singen zu können?“

Edvard Grieg hingegen wäre in diesem Jahr 150 Jahre alt geworden, obwohl diese Vorstellung ja immer etwas Merkwürdiges hat. Das klingt doch so, finden Sie nicht, als hätten höchstens widrige Umstände verhindert, daß er nicht wirklich 150 oder Bach seinerzeit 300 Jahre alt geworden ist, so wie man eben bei der Callas oder bei Fassbinder sagt „wäre heute ... alt geworden?“ Nun, wir wollen Sie jetzt hier gar nicht mit unseren teenageresk staunenden Menscheitsfragen behelligen, sondern Ihnen vielmehr mit gefaßter Stimme mitteilen, daß das Leipziger Gewandhaus heute eine Ausstellung eröffnet, in der wertvolle Originaldokumente in Sachen Grieg zu sehen sein werden. Grieg nämlich hatte sich vier Jahre lang in Leipzig aufgehalten und dort dieses und jenes komponiert und am Leipziger Konservatorium studiert. Auch als Interpret und Dirigent war der Mann oft und gern in Sachsens Metropole zu Gast. (Merken Sie, wie man als Journalist immer gerne ein Ersatzwörtchen sucht: zum Beispiel schreibt man nicht gern zweimal „Elefant“, obwohl das ja nun wirklich ein hübsches Wort ist, sondern man schreibt dann neckisch „Dickhäuter“. Auch ersetzt man gern „Japan“ gleich im zweiten Satz schon mit „Nippon“. Wir hoffen zugleich, zaghaft und bescheiden mit den Füßen schabend, daß Ihnen aufgefallen ist, daß auf diesen ganzen üppigen Kulturseiten nicht ein einziges Mal vom „Land der Mitte“ gesprochen wird, obwohl das, zugegebenermaßen, ganz ganz vorne auf der Zunge lag.

Den Europäischen Literaturpreis hat Cees Nooteboom für sein Buch „Die folgende Geschichte“ bekommen. Der zusammen mit dem Literaturpreis verliehene und ebenfalls mit 40.000 Mark dotierte Europäische Übersetzerpreis geht an die Belgierin Francoise Wuilmart für die Übertragung von Ernst Blochs „Das Prinzip Hoffnung“ ins Französische.

Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat sich dafür ausgesprochen, daß sich die Menschen im vereinten Deutschland ihre Biographien erzählen sollen und ist sich darin mit Helmut Schmidt einig.