: Schilder auf dem Podium
■ Bei einer Veranstaltung über das Asylverfahrensgesetz glänzten die Behördenvertreter durch Abwesenheit
Wie gehen die Berliner Behörden mit dem neuen „Asylverfahrensgesetz“ um? Etwa 200 SozialarbeiterInnen, MitarbeiterInnen von Flüchtlingsinitiativen und viele Asylsuchende wollten dies wissen und kamen deshalb am Mittwoch zu einer Veranstaltung des Deutschen Roten Kreuzes in das DRK-Wohnheim in der Streitstraße. Dort erwartete sie eine Überraschung.
Kein einziger Vertreter der sechs verschiedenen Behörden, die mit der Abschiebung befaßt sind, war der Einladung des DRK gefolgt. Alle waren, obwohl die Einladung schon vor sechs Wochen verschickt wurde, pötzlich „verhindert“. Die Phalanx von Absagen, dokumentiert durch Pappschilder auf dem Podium, kommentierte Traudl Vorbrodt vom „Flüchtlingsrat“ als „geglückte Absprache“.
Und so blieben die „Guten“ einmal wieder unter sich, und die wichtige Frage, warum die Koordination zwischen dem Bundesamt für Anerkennung politischer Flüchtlinge, dem Landeseinwohneramt, der Ausländerbehörde, der Abschiebegewahrsammelstelle, dem Bundesgrenzschutz und dem Verwaltungsgericht oft nicht funktioniert und Flüchtlinge deshalb rechtswidrig abgeschoben werden, unbeantwortet. „Herr Jäger“, fragte Peter Kucma vom DRK das Pappschild von der Innenverwaltung, „warum werden Flüchtlinge nach Angola abgeschoben, obwohl Innensenator Heckelmann vor dem Ausländerausschuß zugesagt hat, dies nicht zu tun?“ Und „Herr von Charmier“, so die Frage an das Pappschild von der Ausländer-Abschiebebehörde, „warum wurde am 6. Oktober eine Tamilin ins Flugzeug nach Colombo gesetzt, obwohl das Verwaltungsgericht schon drei Wochen vorher die Abschiebungsverfügung des Bundesamts gestoppt hatte?“
„Es ist ein unmöglicher Zustand, daß Flüchtlingsinitiativen nur damit beschäftigt sind, Fehler der Behörden auszugleichen“, kritisierten Traudl Vorbrodt und Katrin Vogt von der Arbeiterwohlfahrt. Ihre tägliche Praxis: Kompetenzwirrwarr zwischen den Behörden, mangelnde Absprachen, klare Rechtsverstöße, für die keiner verantwortlich sein will, und „Willkür zuhauf“.
Beispiel Nummer 1: Abschiebeverfügungen müssen den Betreffenden mitgeteilt werden. Die AWO kennt Dutzende von Fällen, in denen dies nicht getan wurde, obwohl die Adressen nachweislich bei der Ausländerbehörde liegen. Wenn dann die Polizei in aller Frühe überraschend in Wohnheime einfällt und die Flüchtlinge in Abschiebehaft nimmt oder direkt zum Flughafen Schönefeld bringt, ist es für eine Korrektur der Verfahrensfehler zu spät.
Beispiel Nummer 2: Wenn minderjährige Flüchtlinge abgeschoben werden sollen, muß nach der Berliner Weisung von 1988 vorher geprüft werden, ob die Versorgung im Heimatland gesichert ist. Die Berliner Behörden wollten am 9. November einen 17jährigen Albaner in den Kosovo abschieben, obwohl die gesamte Familie hier ist, der Vater sogar seit 30 Jahren. Weil dieser Vater aber „erwerbsunfähig“ sei, die Familie in einem Zimmer lebe, wurde dem Jungen vom Verwaltungsgericht unterstellt, daß er in Berlin auf „öffentliche Mittel“ angewiesen sei und deshalb ausgewiesen werden muß. Der 17jährige haust jetzt illegal irgendwo in der Stadt.
Beispiel Nummer 3: Der Grundsatz des Schutzes von Ehe und Familie gilt auch für Nichtdeutsche. In der Praxis werden aber Familien auseinandergerissen. Von dem akuten Fall einer bi- nationalen Familie mit drei Kindern berichtete Traudl Vorbrodt. Der Ehemann erhielt am 14. Oktober seine Ausweisungsverfügung. Die Kinder (Jahrgang 89, 91, das jüngste, Jg. 92, wird noch gestillt), waren bis zu diesem Tag im Ausweis der kolumbianischen Mutter eingetragen. Damit auch die drei gleich mitausgewiesen werden können, trug die Ausländerbehörde die Kinder in den libanesischen Paß des Vaters ein, obwohl deren Staatsangehörigkeit nicht geklärt und noch völlig unsicher ist, ob die Mutter überhaupt ein Einreisevisum in den Libanon erhalten wird. Der Flüchtlingsrat will diesen Fall vor die Härtekommission des Abgeordnetenhauses bringen. Derweil lebt die Familie versteckt in Berlin. Anita Kugler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen