: Acht Meter im Vertikalen und überhängenden Bereich
■ Der Alpenverein geht senkrecht in die Luft: Bremens erste Sportkletterwand Norddeutschlands
„Die Bayern mögen die See, die Bremer mögen die Berge.“ Angesichts der überproportional hohen Mitgliederzahl im Deutschen Alpenverein hatte Innen- und Sportsenator Friedrich van Nispen wohl recht, doch Berge habe ich mir immer ganz anders vorgestellt. Wie sollten sich je die zarten Triebe eines Alpenveilchens an diese hochaufragenden, sandbeschichteten Holzplatten und Kunstharzkonstruktionen klammern? Zudem mitten in einer Turnhalle? Menschen in knallengen Hochglanzanzügen und drei Nummern zu kleinen Schuhen allerdings klammern sich, und wie. Da kommt keine Bergziege mehr mit, die ihren Körper niemals mit zwei Fingern in winzige (Plastik-)Nischen gekrallt in der Vertikalen baumeln lassen könnte, schon wegen der Hufkonstruktion nicht. Die Menschen können, und das jetzt auch im platten Bremen.
Endlich sind die Zeiten vorbei, in denen die Bremer SportklettererInnen sich an zugigen Autobahn-Brückenpfeilern oder Sendemasten hochhangeln mußten. Heimlich und nachts habe man es auch schon mal am Polizeipräsidium versucht, gestanden die SportlerInnen dem Innensenator verschämt. Völlig legal können aber nun „die Ziele im vertikalen und überhängenden Bereich“ erreicht werden, freute sich gestern Karl-Joachim Quantmeier, Vorsitzender der Bremer Sektion des Deutschen Alpenvereins: Acht Meter hoch und elf Meter breit ist sie, die neue Sportkletterwand in der Sporthalle am Baumschulenweg. Ein ganzes Sortiment von Griffen und Tritten ermöglicht ein nahezu unbegrenztes Variationsfeld: von der Anfängersenkrechten bis zur extremen Route kann hier alles geklettert werden. Die Fingeraufleger imitieren Kalkgebirge, die Fingerlöcher entsprechen mehr dem Sandstein, die kleinen Risse wären im Granitgebirge zu finden. Die weiche Matte unter der Kletterwand imitiert gar nichts, sondern ist einfach nur weich, auch wenn durch das unfangreiche Sicherungssystem ein Sturz bis zum Boden fast ausgeschlossen ist. Man fällt ins Seil, ein, zwei Meter, die Sichernden zieht es wegen der weicheren Landung ein Stückchen mit in die Höh', und gut. Im echten Gebirge würde man 10 bis 20 Meter stürzen, bis der Sicherungshaken den Sturz aufhält.
„Hier kann man, ohne etwas zu riskieren, an die eigenen Grenzen gehen“, sagt die 58jährige Sportklettererin Rosemarie Klepzig. „Nur so macht man Fortschritte für das alpine Klettern, denn da sollte man immer einen halben Grad unter seinen Möglichkeiten bleiben.“ Das Klettern in der Halle ist für sie Training und nicht Selbstzweck – der Kitzel, die Strecke immer noch einen Tick komplizierter zu bewältigen, hat allerdings Claudia Bader (27) gepackt. Mit elterlichen Wandertouren in den Alpen fing alles an, die Kletterfelsen im Weserbergland folgten, nun darf es der Allround-Kunstberg sein.
Woher bloß die Begeisterung fürs Vertikale? Zumal die BremerInnen ja schlichtweg nicht im Training sind, was die Bewältigung von Höhenunterschieden angeht, während zum Beispiel die Wuppertalerin als solche bereits von frühester Kindheit an täglich Fußmärsche von Cronenberg über den Ölberg zum Dönberg übte. Das allerdings entspricht höchstens dem Kletter-Schwierigkeitsgrad 1 minus (Mit einer Hand zu bewältigen), wohingegen ab Stufe 2 zwei Hände zur Bewältigung benötigt werden, „und bei Stufe 3 hätte man dann gerne drei Hände“, so Achim Jaudas vom Alpenverein. Nach oben ist die Skala offen: der derzeit schwierigste gekletterte Fels ist mit Grad 11 eingestuft – zum Beispiel die sogenannte „Action directe“, eine Wand im Jura. Der beste Kletterer der Welt trainierte dafür allein ein halbes Jahr lang einen Griff, der den ganzen Körper mit nur einem Finger hält.
Geschicklichkeit und Fingerkraft müssen die BremerInnen bis zu solcher Perfektion allerdings noch trainieren – und die Nachfrage ist groß: Karl-Joachim Quantmeier rechnet mit einem Kletteraufkommen von 12 SportlerInnen pro Stunde. Beim Klettern gilt übrigens: je schneller, desto besser, dann kostet es weniger Kraft.
Susanne Kaiser
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