"Anständig schwul"

■ Die realsatirische Medienaffäre um "Berlins teuersten Asexuellen" ist zu Ende

Darf Satire das? Darf ein Heterosexueller ungestraft ein Heterosexueller genannt werden? Nein.

Das Nein steht am Ende einer der wohl skurrilsten Justizpossen um Meinungsfreiheit und gekränkte Ehre. Der Streit hat sich in Berlin zugetragen und zwar zwischen dem früheren CDU-Bezirksbürgermeister von Charlottenburg, Baldur Ubbelohde, und dem Journalisten und früheren AL-Politiker Micha Schulze. Ursprung der sowohl zivil- als auch strafrechtlichen Auseinandersetzung, die fast fünf Jahre die Gerichte beschäftigte, ist eine kleine, aber feine Satire. Sie war 1988 in einem Wahlkampfblatt der AL namens Stachel erschienen. Verantwortlicher Redakteur: der Schwule Micha Schulze. Überschrift: „Ist Baldur hetero?“

In dem Artikelchen war die Diskriminierung von Schwulen in Umkehrung der wahren Verhältnisse auf ironische Weise thematisiert worden (siehe Dokumentation). Der Bürgermeister, so hieß es darin, sei als „als anständig schwuler Politiker und Mensch“ bekannt, habe sich aber nun möglicherweise als heterosexuell erwiesen. Dies sei für den Bezirk Charlottenburg (tatsächlich eine Hochburg von Schwulen und Lesben) „untragbar“. Der Bürgermeister aber fand die Satire untragbar und zog vor Gericht.

Nun, fünf Jahre und mehr als ein halbes Dutzend Gerichtstermine später, hat der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin entschieden, daß die Meinungsfreiheit vor dem „beeinträchtigten Persönlichkeitsrecht“ des Ex-Bürgermeisters zurückzustehen habe. Die Verfassungsbeschwerde des Journalisten Schulze wurde abgewiesen. Ubbelohdes „privat gelebte Sexualität“, so das Gericht, werde in dem Artikel auf eine Weise behandelt, die „herabsetzend und demütigend wirken“ müsse.

Die roten Roben in Karlsruhe werden sich nicht mit dem „rosa“ Streit befassen müssen. Micha Schulze und sein Anwalt haben beschlossen, das Bundesverfassungsgericht nicht anzurufen: zu teuer, zu wenig aussichtsreich. Der zivilrechtliche Strang der Auseinandersetzung war übrigens schon 1988 beendet worden. Das Berliner Kammergericht halbierte damals das Ubbelohde zugesprochene Schmerzensgeld von 20.000 auf 10.000 Mark (siehe Chronik).

Weder schwul noch homo oder hetero

Die Satire, die die Verhältnisse auf den Kopf stellte, hat sich in fünf Jahren zu einer Realsatire ausgewachsen, die im Kopf nicht auszuhalten ist: So versicherte der brave Familienvater Ubbelohde, im Zivilberuf Gutachter für Gebäudeschäden (Dachschäden?), im Laufe des Verfahrens an Eides Statt, weder „homosexuell, schwul noch heterosexuell“ zu sein. Prompt wurde der heutige Pensionär nach dem Schmerzensgeld-Urteil in der Presse als „Berlins teuerster Asexueller“ bezeichnet. Je hartnäckiger Ubbelohde auf Satisfaktion und Schutz seiner Intimsphäre beharrte, um so breiter wurde der Fall getreten.

Damit nicht genug: Die Bürgermeisterwahl verlor der CDU- Mann Ubbelohde gegen die Sozialdemokratin Monika Wissel, die später ihr öffentliches Coming-out als Lesbe hatte. Und sogar Micha Schulze, der schwule Journalist, kann sich trotz 10.000 Mark Schmerzensgeld und 1.600 Mark Geldstrafe auf Bewährung ein wenig freuen. Konstatierte das Landgericht Berlin doch 1992 im jetzt rechtskräftigen Beleidigungs-Urteil immerhin, daß Schulzes „eigentliches Motiv“ nicht die „Diffamierung“ Ubbelohdes gewesen sei, sondern „sein legitimes Engagement für die gesellschaftspolitische Anerkennung der homosexuellen Minderheit“.

Überdies bescheinigte das Landgericht dem 26jährigen Schulze, daß er sich im Angesicht Justitias „als hochintelligenter und gewandt formulierender Journalist mit vorzüglicher Sprachbeherrschung präsentiert“ habe. Wenn das kein Trost ist! Hans-Hermann Kotte